Der Apostel, der nun pilgern geht

Pilgernde haben lange Wege zurückzulegen, es gibt darauf leichte, genussvolle Abschnitte, aber auch beschwerliche, und manchmal führt der Weg durch finstere Täler. Außer von Gott wissen sie sich dabei begleitet von Jakobus, dem Schutzpatron der Pilger. Einer der bekanntesten Pilgerwege ist denn auch der Jakobsweg, der zum Grab ebendieses Heiligen ins spanische Santiago de Compostela führt. Seiner gedacht wird freilich auf vielerlei Weise, und so gibt es neben Menschen, Kirchen und Orten, die seinen Namen tragen, auch Bilder und Skulpturen in unterschiedlichen Größen. Eine dieser Skulpturen, kunstvoll aus Holz geschnitzt und laut Vermerk im 16. Jahrhundert in Mainfranken entstanden, hat ebenfalls ganz pilgergerecht einen eigenen und zumindest zuletzt auch schicksalhaften Weg hinter sich, ist nun jedoch an ein glückliches Ziel gelangt: Ein Jahr lang wird sie fortan in der katholischen Kirchengemeinde in Michelstadt beheimatet sein, danach dann ebenso lang in der evangelischen, und in diesem Wechsel wird es auch weitergehen.

Und so kam das: Vor gut zehn Jahren wurde im Michelstädter Stadtmuseum im Zuge von Umbaumaßnahmen das gesamte Inventar durchgesehen und aufgrund von Platzmangel manches aussortiert. Darunter war auch diese Jakobus-Skulptur, auf die zufällig der Michelstädter Kulturamtsleiter Heinz Seitz aufmerksam wurde, da sie, gewiss versehentlich, an einen etwas abseitigen Ort geraten war. Woher sie ursprünglich stammt, ist nicht bekannt. Seitz jedenfalls war klar, dass das Abbild eines Heiligen einen würdigen Platz benötigt, und er rettete die Figur und brachte sie in sein Büro. Aber auch das konnte nur eine Zwischenstation sein, fand er, nahm Kontakt auf mit den Kirchengemeinden, und schließlich wurde der Michelstädter Jakobus als Dauerleihgabe der Stadt nun im Rahmen eines ökumenischen Freiluft-Gottesdienstes am Standort der ehemaligen Heilig-Kreuz-Kapelle auf seine Pilgerreise entsandt.

„Der Apostel selbst besucht uns heute“, freute sich der katholische Pfarrer Christoph Zell mit Blick auf die auf dem Altar positionierte Jakobus-Skulptur. Historisch sei er einer der zwölf Jünger Jesu gewesen, verdeutlichte der evangelische Dekan Carsten Stein, der die Vertretung für die erkrankte Michelstädter Pfarrerin Dr. Anneke Peereboom übernommen hatte. Jakobus wird mehrfach in der Bibel erwähnt, so ist er einer der Jünger, die sich mit Jesus vor dessen Kreuzigung im Garten Gethsemane aufhalten und einschlafen.

Auch der Dekan griff in seiner Predigt den Pilger-Kontext auf: „Pilger sind Suchende, sie wollen mit Gott Verbindung aufnehmen und sind auch immer auf dem Weg zu sich selbst.“ Das Unterwegssein sei dabei wichtig, so Stein. Aufzubrechen, loszugehen, das ermögliche zugleich, neue Perspektiven und neue Horizonte zu entdecken. Sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche befänden sich derzeit im Umbruch, „dabei bewegen uns ähnliche Fragen“: weniger Mitglieder, weniger Geld, weniger Personal. „Es kann gut sein, sich auf den Weg zu machen und sich dabei zu verändern, und gewiss ist: Gott ist immer dabei“, ermutigte der Dekan. Was die Jakobus-Skulptur angehe, so „begleitet er auch uns, ist ökumenisch mit uns unterwegs und bringt uns zusammen“ – wie nun zum Beispiel bei diesem Gottesdienst.
Musikalisch gestaltet wurde er von einem gemeinsamen Bläserensemble des Erbacher Posaunenchors und der ‚Blechis‘ aus Michelstadt, unter Leitung von Axel Manschitz. Einen ganz eigenen, sehr passenden akustischen Akzent setzten dazu die rauschenden Blätter des Waldes ringsum. Das drohende schlechte Wetter hatte sich noch etwas Zeit gelassen, der auffrischende Wind indes steuerte seinen Klang bei.

Bernhard Bergmann
8.7.2024