Origenes und das Licht der Welt

Der folgende Text stammt aus der Predigt von Vikar C. Feidner vom Gottesdienst am 21. Juli 2024, welche aus Krankheitsgründen nicht gehalten werden konnte.

„Ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist,
und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis; deckt sie vielmehr auf.
Denn was von ihnen heimlich getan wird, davon auch nur zu reden ist schändlich.
Das alles aber wird offenbar, wenn’s vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht.

Darum heißt es: Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“

(Epheserbrief, Kapitel 5, 8-14)

 

Autorenbildnis des jungen Origenes aus einer Handschrift im Kloster Schäftlarn aus der Bayrischen Staatbibliothek München.

Der junge Origenes wächst in einer wohlhabenden christlichen Familie in Alexandrien auf. Aber als er 17 Jahre alt ist, wird sein Vater von einer römischen Behörde verhaftet, weil er Christ ist. Sein Vater wird zum Tode verurteilt. Origenes ist jung und voller Eifer und will unbedingt mit seinem Vater als Blutzeuge Christi sterben. Er nimmt fest vor, sich verhaften zu lassen, damit er mit seinem Vater den Tod eines heldenhaften Märtyrers sterben kann. Seine Mutter versucht verzweifelt, ihn von diesem Vorhaben abzubringen, aber er bleibt stur. Dann kommt seine Mutter auf eine Idee. Als ihr Sohn nicht aufpasst, versteckt sie seine Kleider. Er tobt und protestiert, aber die Mutter weigert sich, das Versteck zu verraten. Origenes muss zu Hause bleiben und auf einen ‚heldenhaften‘ Tod verzichten.

Diese vom Historiker Eusebius überlieferte Begebenheit enthält etwas Widersprüchliches im Handeln des jungen Origenes. Hier ist ein junger Mann, der mutig genug ist, um einen grauenvollen Märtyrertod auf sich zu nehmen, aber nicht mutig genug ist, in seiner Unterwäsche auf die Straße zu gehen. Für ihn war es leichter, etwas Heroisches zu tun, als entblößt in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Ich glaube diese Ungereimtheit hat etwas mit dem Licht-Finsternis-Gegensatz zu tun, von dem wir in der heutigen Schriftlesung unseres Predigttexts im Epheserbrief lesen.

Jesus selbst nennt sich Licht der Welt. Und er beauftragt seine Nachfolger dazu auf ebenfalls Licht der Welt zu werden. Im Epheserbrief wird das aufgegriffen, auch er fordert uns zu Beginn unseres Predigttextes auf: „Denn ihr wart einst Finsternis, jetzt aber Licht im Herrn. So wandelt als Kinder des Lichts!“

An der Stelle frage ich mich: Wie geht das? Vor allem wie kann ich durch mein Handeln als Christ mehr Licht in die Welt bringen? Denn ich unterstelle den wenigsten Menschen, dass sie durch ihr Handeln Dunkelheit auf die Welt bringen wollen. Und doch finde ich viel Dunkelheit in dieser. So ists auch mit dem jungen Origenes in dieser überlieferten Geschichte. Ich glaube er hat keine böse Absicht mit seinem Wunsch mit seinem Vater für den Glauben zu sterben. Ich stelle mir vor: Er wollte gerade dadurch Licht der Welt sein. Seinen Glauben bezeugen vor allen, die ihn kennen und als Märtyrer sterben wie viele Christen unter der römischen Unterdrückung vor ihm. Origenes hat den christlichen Aufruf Kind Gottes zu sein so interpretiert, dass er etwas Großes leisten muss in seinem Leben. Ganz mit dem häufig-anzutreffenden Idealismus der Jugend ausgestattet und offensichtlich versehen mit einem gewissen ungesunden religiösen Fanatismus wollte er es allen beweisen, und die eine große Licht-tat bewirken, indem er als Märtyrer mit seinem Vater zusammen für seinen Glauben starb.

Origenes nach André Thevet

Aber was seine Mutter dann tut, offenbart dass er wohl eher Kind im Geiste als Kind des Lichts war, es offenbart seine Naivität. Als seine Mutter seine Kleider versteckte, da hat sie – vermutlich ohne es zu wissen – Licht in seine Finsternis strahlen lassen. Sie hat sein scheinbares Licht als Dunkelheit aufgedeckt. Nämlich, dass es Origenes in erster Linie nicht um die Sache Christi ging, sondern um seine eigene Würde. Aus einem Ehrgefühl heraus wollte er heldenhaft sterben, aber dieses Ehrgefühl hat ihn gleichzeitig daran gehindert, sich in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen. Man könnte auch allgemeingültig sagen: Da, wo die eigene Würde im Vordergrund steht, da herrscht Finsternis. Oder: Da wo Finsternis herrscht, ist oft das eigene Ansehen im Vordergrund.

Vielleicht hätte Origenes seine eigene Dunkelheit auch darin erkennen können, wenn er nur einen Gedanken darauf verwendet hätte darüber nachzudenken, was die Folge, die Frucht seines freiwilligen Märtyrertods gewesen wäre. Es hätte tiefste Dunkelheit über die Seinen gebracht. Der Vater hätte seinen Sohn im Tod beweint. Seine Mutter wäre vielleicht mittellos und in Trauer im Leben zurückgeblieben. Und sein freiwilliges Martyrium hätte wohl eher kein Zeichen gesetzt. Fruchtlos wäre sein Handeln geblieben. Er wäre nur aus eigenem Hochmut gestorben, es hätte sich als unfruchtbares Werk der Finsternis entpuppt. Daher rät uns auch der Epheserbrief: „Prüft, was dem Herrn wohlgefällig ist.“ Erforscht eure Absichten und geht dem nach, was die Früchte des eigenen Handelns sind. Stellen sich dabei Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit ein? Oder bleibt unser scheinbares Lichthandelns fruchtlos?

Die Schriftstelle endet mit einem Aufruf: „Wache auf, du Schlafender, und stehe auf von den Toten, und aufleuchten wird dir – Christus!“ Ganz sicher ist sich die Bibelwissenschaft nicht, woher dieses Zitat stammt. Es wird vermutet, dass es aus einer verbreiteten Taufliturgie des 1. Jahrhunderts aus der Region Ephesus stammt. Demnach wurden bei Taufen den Täuflingen nach dem Untertauchen diese Worte zugesprochen: „Wache auf, du Schlafender! Steh auf von den Toten, und aufleuchten in dir wird dir Christus!“. Das sind starke Worte, die uns Christen an unseren bleibenden Auftrag erinnern: Als Getaufte SIND wir bereits Kinder des Lichts, weil wir in Jesus Christus dem Licht der Welt begegnet sind. Und: Wir SOLLEN ihn in uns aufleuchten lassen. Man beachte: Nicht unser Licht soll leuchten, sondern sein Licht durch uns. Vielleicht wie Leuchtsterne, die sich Kinder gerne an ihre Decke kleben – die laden sich tagsüber an der Strahlung des Lichts der Sonne auf und erleuchten dann stundenlang in der Dunkelheit nach. Das bedeutet auch – ohne regelmäßigen Kontakt zum Licht der Welt werden wir auf kurz oder lang auch dunkel bleiben. Aber wenn wir uns immer wieder neu im Gebet aufladen lassen und transparent bleiben für Christi Wirken in uns, können wir ein beruhigendes, wohltuendes kleines Licht im Dunkeln sein.

Zuletzt: Um Origenes wegen der Eingangsgeschichte nicht schlecht wegkommen zu lassen. Auch von ihm überliefert ist, dass Origenes, nachdem er von seiner Mutter daran gehindert wurde den Märtyrertod zu sterben stattdessen seinem Vater einen Brief schrieb. Und da hat er ihm die folgenden tröstlichen Worte zugesprochen: „Sorge für deine Seele uns lasse dich unseretwegen nicht in der Standhaftigkeit erschüttern.“ Origenes hat also einen besseren Weg gefunden, Licht für seinen Vater zu sein und ihn in dessen schwersten Stunde Mut zugesprochen. Später wurde Origenes übrigens zum führenden Gelehrten und Bibelausleger seiner Zeit, der nicht nur zahlreiche bedeutende Bibelkommentare verfasste und eine bedeutende Schule für Literatur, Theologie und Philosophie gründete, sondern auch viele seiner inhaftierten Schüler unter persönlichem Risiko als Seelsorger bis zu ihrem Martyrium begleitete.

 

Jan Luyken – Origenes lehrt die Jünger des Glaubens (ca. 1700)

Abschließen möchte ich diese Predigt mit Gedanken von Anselm Grün. Licht der Welt zu sein – wie ich eben ausgeführt habe – beginnt zunächst in uns: Unseren Absichten, das Prüfen vor Gott und den Früchten, die wir erhoffen. Auch Anselm Grün formuliert passende Gedanken zum Textabschnitt und ruft dazu auf, einen Blick in unser Inneres, unser Herz zu wagen:

Wir schämen uns oft genug für das, was da im Geheimen in uns an zerstörerischen und chaotischen Gedanken und Gefühlen verborgen ist. Es braucht Demut und Ehrlichkeit, das alles aufzudecken. Doch wenn wir bereit sind, dies zu tun und es in Jesu Licht zu halten, dann wird das Aufgedeckte – unsere Schwächen, unsere Leidenschaften – selbst zum Licht und der ganze Leib bekommt eine lichte Ausstrahlung. Denn es gibt nichts Dunkles mehr in uns. Das Licht Christi hat alles durchdrungen.“

Und der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unseren Herrn, Amen.

 

[Quellen: Predigt von Phil Schmidt 2010: http://www.archiv.dreikoenigsgemeinde.de/glaube/philSchmidt_predigt_251.php; Exegese zu Epheser 5,8b-14 von Peter Müller und Antje Roggenkamp die-bibel.de: https://www.die-bibel.de/ressourcen/efp/reihe6/8-nach-trinitatis-epheser-5; Zitat Anselm Grün: https://jesusimpuls.de/neues-testament/brief-epheser-auslegung/eph-5/]