„Ertragt einander in Liebe…“ (Kolosser 3,13)

Liebe Jubelpaare! Liebe Gemeinde!

Neulich ist eine Epoche zu Ende gegangen. Unsere gute, alte Kraxe hatte ihren allerletzten Einsatz. Vor rund 13 Jahren haben wir sie angeschafft, als der Große 1 Jahr alt wurde. Kind 2 und 3 waren damit auf Tour, in den Alpen, beim Bergwandern, in Kroatien und der Bretagne, in Amerika, dem Taunus oder wo auch immer wir mit ihnen längere Strecken laufen wollten. Neulich nun hat die Kleine, die in wenigen Tagen ihren 4. Geburtstag feiert, die Ehre gehabt, den letzten Ritt in der Kraxe zu machen – bevor alle Kinder zu groß und zu schwer geworden sind, um sie darin noch mit sich zu tragen. Aber diese eine letzte Runde in der Margaretenschlucht unten am Neckar, die sollte es noch sein. Die steilen Steige, die Felsen, Übertritte über die Wasserfälle und die diversen Kletterpartien, das war noch nichts für sie. Aber natürlich wollten wir sie mitnehmen, wir sind ja schließlich eine Familie. Wie gut, dass es die Kraxe gibt – dass wir sie dieses Mal noch mitgenommen haben! In dieser praktischen, einem Wanderrucksack ähnlichen Apparatur haben wir sie verstaut und mit rumgeschleppt.

Wir sind zwar ganz schön ins Schwitzen gekommen mit dieser zusätzlichen Last auf dem Buckel, natürlich kamen wir langsamer voran und auch mit dem Gleichgewicht war das gelegentlich so eine Sache. Aber unsere Kleine, die hat oft genug seelig geschlafen, den Kopf auf die flauschigen, weißen Teddyohren dieser Kraxe aufgelegt.

Manche Lasten, die wir tragen, sind so süß. Sie sind merklich, aber wir tragen sie gern – vor allem dann, wenn es eine gute ausgereifte Tragehilfe wie diese Kraxe gibt. Sie verteilt das Gewicht, so dass man es besser schultern kann. Sie fixiert, sie stabilisiert. Sie macht aus 2 Menschen, einem mit langen und einem mit ganz kurzen Beinen, gewissermaßen eins, indem sie sie in alle ihrer Unterschiedlichkeit miteinander verbindet.

Ich habe diese Kraxe heute mitgebracht, weniger weil ich Urlaubs- und Familienanekdoten erzählen möchte, als weil ich finde, dass eine solche Kraxe ein gutes Bild für die Liebe in einer Ehe ist. Auch die Liebe verbindet zwei unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten miteinander. Auch die Liebe fixiert und stabilisiert uns und unser Beziehungsleben, weil sie uns aufeinander bezieht. Und die Liebe ist der wohl größte Lastenverteiler den ich kenne.

Aus Liebe greifen wir anderen unter die Arme, aus Liebe schlagen wir neue Wege ein, aus Liebe tragen wir des anderen Last, wie Jesus es an einer Stelle gesagt hat. Liebe ist das, was uns durchs Leben trägt, die Kraxe an den Höhensteigen und den tiefen Tälern. Ohne sie kämen wir nicht weit. Durch sie nehmen wir einander mit.

Nun hat es eine Kraxe an sich, ich erwähnte es bereits, dass es nicht immer nur ausschließlich angenehm ist, mit ihr zu laufen. Sie drückt, sie bringt uns ins Schwitzen, sie ermüdet uns. Aber wenn wir ehrlich sind: Tut das nicht auch jede Liebesbeziehung irgendwann auf die eine oder andere Art? Dass sie an einen toten Punkt kommt, einen niederdrückt, sich wie eine Last anfühlt? Ich kenne nicht wenige Menschen, die diesen Moment des Unwohlseins, dem Moment, in dem man realisiert, dass man da was mit sich rumschleppt, was einen einschränkt und behindert, nutzen, um sich der Kraxe mitsamt ihrer Last zu entledigen. „Es hat doch nicht gepasst“, hört man dann gern. Und dann wird weiter gesucht, nach dem Menschen, mit dem es perfekt passt, sprich, der mir nie zur Last wird, sondern mich am liebsten auf Händen durchs Leben trägt. Sich auf Händen tragen – das ist so ein romantisches Bild der Liebe. Eine Vorstellung, die nicht wenige Brautpaare am Tag aller Tage von ihrer Ehe hegen.  Natürlich immer unter der Voraussetzung, dass man selber der ist, der getragen wird, nicht etwa der, der trägt!

Um so mehr beeindruckt hat mich einmal ein junges Brautpaar! Diese beiden haben sich für ihre Ehe einen Trauspruch und damit ein Motto ausgesucht, das sich den üblichen romantisch-kitschig-überhöhten. Liebesbeteuer-ungen entzieht. Sie haben ein  mutiges Wort als Leitwort für ihre Ehe gewählt, eins, das offen und echt ist und ehrlich. Weil es aus dem Leben gegriffen ist und nichts vorheuchelt. Sie lasen es und es war sozusagen „Liebe auf den ersten Blick“, es stand fest: Dies und kein anderes wird unser Trauspruch! Ich lese ihn mal für alle vor. Der Spruch steht im zweiten Teil der Bibel, im neuen Testament, in einem Brief, den der Apostel Paulus vor gut 2000 Jahren an die christliche Gemeinde in Kolossai in der heutigen Türkei geschrieben hat. Offensichtlich lebten da ein paar ganz normale Menschen zusammen, mit ihren Licht- und Schattenseiten, denn Paulus rät ihnen:

„Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen habt. Wie der Herr euch vergeben habt, so vergebt auch ihr.“ (Kolosser 3,13)

„Ertragt euch gegenseitig…“ – das ist ja nun nicht unbedingt die klassische Vorstellung einer Liebesbeziehung, so wie die meisten Brautpaare sich das am Anfang einer Ehe erträumen. „Ertragt euch gegenseitig…“ – das setzt voraus, dass nicht immer nur alles leicht und schön und rosarot ist im Leben, sondern manchmal eben auch schwer und blöd und grau in grau. Das Leben wie die Liebe kennt alle Facetten, alle Farbtöne und keine davon lassen sich dauerhaft ausblenden. „Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander…“ – das setzt voraus, dass es allen guten Vorsätzen zum Trotz Dinge gibt, die wir einander zu vergeben haben. Dass wir nicht immer so handeln, wie wir sollten oder möchten, dass wir dem anderen etwas schuldig bleiben: An Aufmerksamkeit oder Verständnis, an Interesse, an Unterstützung, an Liebe.

Liebe Jubelpaare! Und mit Euch – liebe anderen altgedienten, bewährten, lebenserprobten Ehepaare! Geht es Ihnen eigentlich auch so wie mir? Ich bin jetzt seit fast 16 Jahren verheiratet, und ich habe zwar immer noch die gleiche alte Sehnsucht danach, geliebt zu werden und zu lieben – aber längst schon die rosarote Brille von den Augen genommen. Ich weiß, dass mein Mann nicht perfekt ist – ich selber ja auch nicht – behauptet er zumindest immer 😉 Ich brauche keine Bilder oder Texte über die Liebe, die mir suggerieren, dass alles immer innig und harmonisch sein könnte und nur ich das irgendwie nicht hinbekomme mit dem perfekten Beziehungsglück. Bei uns gibt es auch mal Stress und Streit, Schweigen und Tage der Distanz. Aber deswegen ist doch eine Beziehung, eine Ehe, eine Liebe, nicht weniger wert – weil sie sich am Alltag bewähren muss mit seinen Härten und Durststrecken? Eine Ehe ist kein Sonntags- oder Festtagskleid, das nur einmal im Jahr zum Opernabend oder zum runden Geburtstag aus der Kleiderhülle geholt, aufgebügelt und getragen wird – ewig strahlend und glitzernd und makellos. Es ist mehr der wohl vertraute Lieblingspulli, der schon einen Fleck hat, der nie mehr rausgeht, ein paar gezogene Maschen, ein ausgeleiertes Bündchen, der aber gefühlt schon überall mit dabei war und mir so oft gute Dienste getan hat, wenn ich ihn brauchte. Diesen Lieblingspulli trag ich ja auch gerne bei mir, auch wenn er längst nicht mehr makellos ist und wie neu aussieht. Auch für die Liebe, für die Ehe gilt: Wenn ich bereit bin, den anderen zu tragen und zu ertragen, auch wenn er sich irgendwann als unvollkommen erweist, seine Macken offensichtlich werden und er oder sie ganz anders ist und denkt und fühlt als ich, dann ist das Liebe! Wenn ich bereit bin, dem anderen das zu vergeben, worin er sich als unzulänglich erwiesen hat, dann ist das Liebe! Wenn ich selbst es erleben darf, dass jemand zu mir steht, so wie ich bin, dann ist das Liebe!

Die Liebe, die wie eine Kraxe ist. Die Liebe, die uns hilft, einander zu ertragen und uns zu vergeben – ein ziemlich steiler Anspruch, der sich nicht hinter den Alpen verstecken muss. Eine Liebe, die nicht Halt macht, wenn sich Abgründe auftun oder aus den guten Zeiten die schlechten werden.

Liebe Jubelpaare, Sie haben in Ihrem Leben schon ein gutes Stück Weg gemeinsam zurückgelegt. Seit Ihrer ersten Begegnung sind viele Jahre vergangen. Wissen Sie noch, wie der Mensch an Ihrer Seite damals ausgesehen hat, was ihn oder sie ausgemacht hat? Warum Sie sich gerade in diesen Menschen verliebt haben? Was hat Ihre Liebe so groß gemacht, dass Sie einander mal vor Gott und der Welt versprechen konnten, den anderen zu lieben, zu achten und zu ehren, in guten wie in schlechten Tagen, in Gesundheit wie in Krankheit, in Reichtum wie in Armut? Und was haben Sie seither nicht alles miteinander erlebt an guten und schlechten Tagen? Und immer noch sind Sie gemeinsam unterwegs in diesem Leben. Immer noch tragen und ertragen Sie einander, jeden Tag neu, lieben und vergeben, streiten und versöhnen sich. 25, 50, 60, 65, 70 Jahre sind Sie schon Seite an Seite gegangen, viel länger, als Sie je bei Ihren Eltern gelebt haben. Vielleicht haben Sie Kindern das Leben geschenkt, vielleicht Enkel oder gar Urenkel aufwachsen sehen. Vielleicht haben Sie unterwegs etwas von dem Segen Gottes erfahren, mit dem Sie damals in Ihre Ehe gestartet sind?  Ich persönlich glaube, es macht einen Unterschied, ob ich vor dem Standesamt miteinander „nur“ einen Ehevertrag eingehe, der die gegenseitigen Rechte und Pflichten regelt, oder ob man sich mit seiner Ehe unter Gottes Segen stellt – am Tag der Hochzeit oder auch heute, nach so vielen gemeinsamen Jahren. Warum ich das glaube? Weil ich überzeugt bin, dass der Standesbeamte mit dem Tag der Hochzeit wieder aus unserem Leben verschwindet. Er hat eine Unterschrift geleistet, etwas beglaubigt und damit offiziell werden lassen. Aber Gott, der Gott, von dem Bibel sagt, dass er die Liebe ist, ihr Ursprung, ihre Quelle, der segnet nicht einfach etwas ab. Der verschwand damals nicht und verschwindet auch mit dem heutigen Tag nicht aus Ihrem Leben. Der will mitmischen, der will sich einmischen, der will ein Teil Ihrer Beziehung sein und bleiben, der Dritte im Bunde. Wie auch immer Sie ganz persönlich in diesem Moment Ihres Lebens zu Gott stehen mögen: Niemand der lebt, niemand der liebt, ist Gott je fern. Vielleicht können wir ihn nicht sehen, ja nicht einmal hören oder spüren. Und doch ist die Liebe, die von ihm ausgeht, das, was uns Herzschlag für Herzschlag am Leben erhält und uns durchs Leben trägt. Es gibt darüber eine berühmte Geschichte, die ich Ihnen gern mit auf Ihren weiteren Weg geben möchte. Sie heißt: „Spuren im Sand“:

Spuren im Sand (von Margaret Fishback Powers)

Eines Nachts hatte ich einen Traum: Ich ging am Meer entlang mit Gott, meinem Herrn. Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben. Und jedes Mal sah ich zwei Fußspuren im Sand, meine eigene und die meines Gottes, meines Herrn. Als das letzte Bild an meinen Augen vorübergezogen war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, daß an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war. Und das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens. Besorgt fragte ich den Herrn:

„Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am. meisten brauchte?“

Da antwortete er: „Mein liebes Kind, ich liebe dich und habe dich nie allein gelassen, erst recht nicht in den Zeiten der Not. Da, wo du nur eine Spur im Sand gesehen hast, da habe ich dich getragen.“

 Dass Sie das in Ihrem Leben und in Ihrer Ehe erfahren dürfen: Getragen zu sein, in guten wie in schlechten Zeiten, ertragen, gleich ob gesund oder krank, arm oder reich, so wie Sie halt grad sind, das wünsche ich Ihnen. Dass Sie nicht ins Bodenlose oder Sinnlose fallen könnt, weil da einer ist, der Sie in der Kraxe seiner Liebe, oder auch mal auf Händen durch Dick und Dünn trägt.