„Trost in Jesaja 40“

Schriftlesung

Sie schienen untröstlich.
Als sie dort saßen an den Wassern zu Babel. Erschöpft von harter Zwangsarbeit. Nach Jahrzehnten noch immer fremd in der Stadt. Sie waren voller Sehnsucht, nach Zuhause, nach Jerusalem, nach ihren Familien, Freunden und Verwandten, die nicht mit in die Fremde – ins Exil – geschleppt worden waren.

Sie schienen untröstlich.
Sie hielten noch immer ihre Versammlungen ab, in denen sie Gott lobten und zu ihm beteten; aber ihnen fehlte die Hoffnung auf eine Besserung der Umstände. Zwar erzählten sie noch die alten Geschichten von Gottes Taten. Der Befreiung aus Ägypten, die Bewahrung beim Zug durch die Wüste, die Rückkehr ins verheißene Land. Aber was hatte das mit ihrer jetzigen Situation zu tun? Etwas ging verloren bei der Niederlage gegen die Babylonier. Sie waren verzweifelt angesichts der Übermacht ihrer Feinde. Wie sollten sie jemals wieder hier herauskommen?
Sie schienen untröstlich.

In diese Situation hinein kam einer und redete im Auftrag Gottes. Seine Worte waren von solcher Bedeutung, dass jemand sie aufgeschrieben hat. Sodass wir sie heute noch in der Bibel im Buch Jesaja im 40ten Kapitel (Vers 1-11) nachlesen können.

Tröstet, tröstet mein Volk! Überzeugt Jerusalem und ruft ihr zu, dass ihre Zwangsarbeit ein Ende hat, dass aus göttlichem Wohlgefallen ihre Schuld entfernt ist, dass es von Gottes Hand empfangen hat genug Strafe für ihre Schuld.
In der Wüste bahnt den Weg Gottes! Bereitet im Tal eine ebene Straße für unseren Gott. Jedes Tal muss sich heben und jeder Berg und Hügel sich erniedrigen. Es wird das Hügelige zur Ebene, und die Rundungen werden zur Senke. Zeigen wird sich die Herrlichkeit Gottes, und alle miteinander werden sie sehen! Denn Gottes Mund hat es gesagt.

Sage es allen, rufe es laut!

Was soll ich allen sagen und laut rufen? Alles Leben ist doch wie Gras und seine Dauer wie die der Blumen des Feldes. Das Gras ist verdorrt, die Blume verwelkt, denn Gottes Atem bläst sie an!

Ja, das Gras verdorrt, und die Blume verwelkt – aber das Wort, das Gott spricht, hat für alle Zeiten Bedeutung!

Steige auf einen hohen Berg, o Zion! Erhebe deine Stimme mit Macht, o Jerusalem, erhebe sie, fürchte dich nicht! Sprich zu den Städten Judas: Seht, da ist euer Gott!
Seht, Gott kommt mit Kraft und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte; die Lämmer wird er in seinen Arm nehmen und im Bausch seines Gewandes tragen; die Mutterschafe wird er sorgsam führen.

Wort des lebendigen Gottes

Predigt

Sie schienen untröstlich.
Als sie dort saßen an den Wassern im Ahrtal. Erschöpft von harter Arbeit, um das eigene Hab und Gut in der Katastrophe zu retten. Die meisten ihrer Gebäude beschädigt oder weggerissen. Sie waren voller Sehnsucht, nach ihrem einstigen Zuhause, und nach ihren als vermisst gemeldeten Bekannten, die ihnen in nur einer Nacht von der Flut genommen wurden.

Sie schienen untröstlich.
Am Krankenbett mit Ansehen zu müssen, wie es jenen, die sie lieben, nicht gut geht. Wie sie sich machtlos fühlen, daran etwas zu verändern. Zwar erzählen sie noch in ihren schönen alten Kirchen die Geschichten von Gottes Taten. Wie das Volk Israel – damals noch – an den Wassern zu Babel saß. Aber was hatte das mit ihrer jetzigen Situation zu tun?

Tja, liebe Gemeinde: Was hat ein Text wie der von Jesaja mit Ihrer jetzigen Situation zu tun? Wo brauchen Sie Trost?

Da ist ‚niemand, der tröstet‘ heißt es in den Klageliedern (Klagelieder 1,16). Vielleicht fühlen Sie sich auch von allen Tröstern verlassen. Wir suchen ja gerade oft den Kontakt zu Kirche und Gott, weil wir das Bedürfnis haben, getröstet zu werden. Aber werden wir auch dem Auftrag gerecht, selbst zu trösten?

Ich möchte zum Thema Trost drei Fragen stellen und mit dem Predigttext aus Jesaja 40 in den nächsten 10-15 Minuten auf Spurensuche zu gehen:
1. Wie können wir eigentlich trösten?
2. Können wir nur trösten, wenn wir uns stark fühlen?
3. Welcher Trost liegt in unserem Gott?

Erstens, wie können wir trösten?
Diese Woche bin ich mit meinem Friseur zum Thema Trost ins Gespräch gekommen. Ich wollte nochmal vernünftig aussehen für die Weihnachtszeit und für die Predigt. Ich weiß nicht, wie’s Ihnen geht, aber ich unterhalte mich mit meinem Friseur über alles. Der ist fast besser informiert darüber, was bei mir los ist, als meine eigenen Eltern. Jedenfalls, zwischen scharfen Scheren, unterbrechenden Kundenanrufen und Frisur-wünschen erzähle ich ihm von meinem Predigtthema. Er unterbricht das Haareschneiden und meint, darüber habe er sich letztens auch mit jemandem unterhalten und zusammen hätten sie festgestellt, wie hilflos er sich fühle, wenn jemand in seinem Umfeld trauert oder einen körperlichen oder seelischen Schmerz erfährt. Er wisse oft nicht, was er da machen soll, wie er helfen kann. „Das müsste man doch in der Schule lernen!“ meint er und ich stimme ihm schmunzelnd zu.

Geht’s nicht vielen so? Mir jedenfalls geht’s oft so. Oft fühle ich mich überfordert, wenn mir jemand erzählt, dass er jemand wichtigen im Leben verloren hat, oder ein Ehepartner an Depression leidet oder Ähnliches. Wie soll ich darauf reagieren? Da ich per erster Ausbildung Ingenieur bin, läuft bei mir gleich das Schema ab: Da ist ein Problem und ich muss eine Lösung suchen. Aber darum geht’s ja oft gar nicht beim Trösten.

Als ein Anfänger im Trösten werde zum Glück auch ausgebildet von Seelsorge-Profis. Eine ist meine Seelsorge-Professorin in Herborn. Diese schärft mir ein: Beim Trost anbieten geht es nicht ums helfen. Es geht nicht ums leisten, nicht ums Ratschläge geben oder therapieren und auch nicht darum eine Diagnose zu stellen. Sondern es geht darum Nähe zu schaffen, zuzuhören und herauszufinden, was mein Gegenüber mir mitteilen möchte. Allein darin kann mein Gegenüber bereits Trost erfahren.

Hier kann ich mich wiederfinden, weil ich auch etwas überrascht war von der Aussage meines Friseurs. Denn irgendwie hab ich ihn auch immer als einen der besten Seelsorger wahrgenommen, den ich kenne. Den sehe ich regelmäßig, der hört mir zu auf Augenhöhe. Fragt nach wie’s mir geht, was ich so erlebe. Und ich im Gegenzug fühle mich getröstet, weil da ist endlich mal einer, der zuhört.

Das hebräische Wort für trösten – נחם nacham – hat ein interessantes Bedeutungsfeld. Beim Trösten wird eine Situation vorausgesetzt, die einen Menschen bedrückt oder fast erstickt. Das Atmen fällt schwer, man ist steif, unentspannt. Dieser Zustand soll durch das Trösten verändert werden. Wo das hebräische Wort nacham im AT verwendet wird, bezeichnet es den Vorgang der Erleichterung. Wo eine Atemnot herrscht, kann wieder tief Luftgeholt werden. Trösten bedeutet also jemandem das Aufatmen und so die Rückkehr ins Leben zu ermöglichen. Das ist ganz spannend, weil Gott in der Schöpfungsgeschichte den Menschen erschafft aus Erde und indem er uns Lebensatem in die Nase bläst. Dadurch werden wir erst zu einem lebendigen Wesen. Im hebräischen Denken ist Gott uns also so nah, wie unser eigener Atem.

Bei Jesaja begegnet uns dieser nahe Gott auch: Er nennt uns sein Volk, stellt sich auf unsere Seite und sagt, dass er keine Schuld bei uns sieht. Er spricht uns Mut zu mit den Worten, die wir auch der Weihnachtsgeschichte immer wieder vernehmen ‚Fürchte dich nicht, denn der Herr ist mit dir‘. Ich finde es erleichternd, im ersten Schritt nicht mehr tun zu müssen, als da zu sein. Zuzuhören, Nähe zu schaffen. Und darin Gott nachzuahmen.

Wenn ich das kurz zusammenfasse: Mein erster Trugschluss war, ich muss, wenn ich trösten möchte, ein Problem lösen. Das muss ich und kann ich oft auch nicht leisten. Es geht darum Nähe und Verständnis zu schaffen. Mir ist aber noch ein zweiter Trugschluss aufgefallen: ich dachte immer, dass jene, die Trost spenden, doch selbst stark sein müssen. Sie müssen Festigkeit ausstrahlen. Die trostempfangende Person wird dadurch von ihr getragen. Das führt zur zweiten Frage:

Zweitens, können wir nur trösten, wenn wir uns stark fühlen?

Der Predigttext in Jesaja beschreibt aber eine andere Situation. Da ist nicht das starke Israel mit seinem König Salomo, der weit über die Grenzen Israels hinaus für seine Weisheit und seinen Reichtum bekannt ist. Es ist auch nicht das in religiöser Hinsicht selbstbewusste Israel, dessen Gott direkt in dem prachtvollen Tempel in Jerusalem gegenwärtig ist. Dieser Tempel wurde gerade von seinen Feinden zerstört. Sondern es ist das schwache Israel, das sich im Exil, in Gefangenschaft befinden und in dieser Situation dazu aufgerufen wird, Trost zu spenden.

Es heißt im Text auch nicht: In dem fruchtbaren Land bahnt einen Weg unserm Gott. Von eurem Überschuss an Mut, Kraft und Zeit gebt ab und tröstet einander. Sondern in der Bibelstelle heißt es: In der Wüste tröstet einander. Diese Stelle in Jesaja und viele andere Bibelstellen deuten an, dass wir auch in und aus unserer Schwachheit heraus beauftragt sind, zu trösten.

Auf den ersten Blick finde ich das unerwartet, kontraintuitiv. Wie in aller Welt, kann man denn aus der Schwachheit heraus trösten? Wenn ich in der Wüste bin, wie kann ich in meiner Lage Trost spenden. Mir geht’s doch selbst schlecht! Ich brauche doch selbst Trost!!

Wenn wir aber nur dann trösten, wenn wir uns selbst stark fühlen, kann das schnell zum Problem werden. Spätestens dann funktioniert dieses Denken nicht mehr, wenn es viel mehr Menschen gibt, die sich erschöpft, ausgelaugt oder unerfahren fühlen als solche, bei denen gerade alles rund läuft. Vielleicht ist Kirche und Gemeinde deswegen oft nicht überzeugender, weil wir uns das schuldig bleiben, auch aus unserer Schwachheit heraus zu trösten.

Das steht so ähnlich übrigens auch schon bei Paulus. Im zweiten Korintherbrief schreibt er einen Abschnitt über seine eigene Schwachheit. Gott möchte er rühmen sich selbst will er aber „nicht rühmen, außer meiner Schwachheit“ (2. Korinther 12,5). Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass Gott ausgerechnet die Schwachen beruft. Bei Jesaja ist es das schwache Israel; hier ist es Paulus, denn wie es da heißt: ‚seine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2. Korinther 12,9).

Sich von der eigenen schwachen Seite zu zeigen hat nämlich einen entscheidenden Vorteil. Wir werden zugänglich für Andere. Unsere Stärke und unser Erfolg mag uns die Bewunderung Anderer einholen, aber nie deren Liebe. Denn erst wenn die Perfektion und der Glanz aufgebrochen ist, wird jemand zugänglich. Erst wenn wir uns von unserer schwachen Seite zeigen, ermöglichen wir unserem Gegenüber einen Zugang. Vielleicht weil es dann nicht mehr darum geht sich möglichst gut, stark und schön dem Gegenüber darzustellen, sondern auch in der eigenen Zerbrechlichkeit und Abhängigkeit. Daran kann mein Gegenüber anknüpfen und das schafft Nähe.

Zur dritten Frage, welcher Trost liegt in Gott?
Im Leid fragen wir häufig auch: Wo ist eigentlich Gott? Ist der mir nahe? Oder eher fern? Trösten bedeutet nah sein. Wie kann uns Gott nah sein, sodass wir von ihm Trost empfangen können? Auch Jesaja ruft uns auf, den Blick auch auf Gott zu richten: „Seht, da ist euer Gott“ (Blick zur Weihnachtskrippe). Welcher Gott begegnet uns eigentlich an Weihnachten? Ist es der mächtige, unnahbare, transzendente Gott auf dem goldenen Thron? Ich hab ein passende Geschichte gehört von einer Begegnung zwischen dem Teufel und St. Martin. Keine Angst ich hab mich nicht im Kirchenjahr geirrt. Ich weiß wir sind im Advent. Ich finde aber das ist eine sehr passende Geschichte zum Thema Trost.

Einmal wollte sich der Teufel dem heiligen Martin als Halt anbieten. Er erschien ihm als König in majestätischer Pracht. Er sagte: „Martin, ich danke dir für Deine Treue. Du sollst erfahren, dass auch ich dir treu bin. Du sollst jetzt immer meine Nähe spüren! Du kannst dich an mir festhalten!“ Da fragte Martin zurück: „Wer bist Du eigentlich?“ „Ich bin Jesus, der Christus!“ antwortete der Teufel. „Wo sind denn Deine Wunden?“ fragte Martin weiter. „Ich komme aus der Herrlichkeit des Himmels und da gibt es keine Wunden mehr!“ gab der Teufel zurück. Darauf entgegnete ihm Martin: „Den Christus, der keine Wunden hat, den mag ich nicht sehen. An dem Christus, der nicht die Zeichen des Kreuzes trägt, kann ich mich nicht festhalten!“

„Seht, da ist euer Gott.“ (Blick zum Kreuz) Jesaja konnte in seiner Zukunftsvision aber nur erahnen, wie nah uns Gott kommen würde. Da ist Gott, der weint und ist nackt. Dieser Gott kam in seiner Schwäche zu uns: Als kleines, verletzliches Kind. Dieser Gott ist viel zugänglicher als der mächtige, unnahbare, transzendente Gott auf dem goldenen Thron. Vielleicht kann Gott deswegen so gut trösten.

Das Schlusswort möchte ich Paulus überlassen, der im zweiten Korintherbrief bereits das beschrieben hat, was ich versucht habe Ihnen in den letzten 10-15 Min zu sagen:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. (2. Korinther 1,3-4)

Möge der Christus, der sich verletzlich zeigt, uns in dieser Adventszeit besonders nahe sein, uns Trost spenden und uns befähigen, gerade in und aus unserer Schwäche heraus anderen Trost zu schenken.