„Wie wohl der Himmel klingt“ – Festpredigt anlässlich der Einführung von Kantorin Beate Ihrig

Liebe Gemeinde!

Wie mag der Himmel wohl klingen?

Was ist wohl Gottes Playlist, daheim in seinem Reich?

Welche Klänge hört er, der Ästhet, der größte Künstler im Universum, der sich überall, wo er sich ausdrückt, so sehr in Schönheit verschwendet?

Klingt der Himmel wohl nach Händels „Halleluja“ aus dem „Messias“ oder doch mehr nach dem „Halleluja“ von Leonard Cohen? Braust dort in furioser Meisterschaft Bachs Toccata in d-Moll auf?

Oder ist es vielmehr so, wie der Theologe Karl Barth es sich vorstellte, als er über seinen Lieblingskomponisten sagte: „Ich bin mir nicht sicher, ob die Engel, wenn sie im Lobe Gottes begriffen sind, gerade Bach spielen – ich bin aber sicher, dass sie, wenn sie unter sich sind, Mozart spielen und dass ihnen auch der liebe Gott besonders gerne zuhört.“

Doch ob nun Klassik oder Gospel, Luther oder Lobpreis, sanfte Harfenklänge oder vielleicht doch Bob Dylans Klassiker „Knocking on Heaven´s Door“ erklingen mögen, wenn sich die Himmelstür einmal für uns öffnet und wir in Gottes Gegenwart eintreten – fest zu stehen scheint: Der Himmel ist ohne Musik schlichtweg nicht vorstellbar. Gott ist, so scheint es mir, von Musik umgeben als wäre sie die Luft zum Atmen.

Darauf deuten zumindest diverse Passagen unserer Bibel hin – ein paar davon haben wir ja eben in der Schriftlesung mal exemplarisch zur Kenntnis genommen. Wir lesen von Lobgesängen von jeder nur vorstellbaren Kreatur unter der Sonne, ja von der ganzen Schöpfung. Dann sind da die Psalmen, der Schall der Posaunen, Flötenspiel und Harfe, die himmlischen Engelschöre – all das bringt das Buch der Bücher unmittelbar mit Gott in Verbindung. Warum aber gehören Gott und die Musik eigentlich so eng zusammen? Und wieso ist es für uns von Bedeutung, wie der Himmel klingt?

2 Gedanken dazu, von der Warte der Theologin aus gesprochen. Es wäre natürlich sehr spannend zu hören, was die vielen Musikerinnen und Musiker hier dazu zu sagen hätten, aber vielleicht besteht beim Empfang ja nachher noch Gelegenheit, sich auszutauschen. Oder, wer weiß, vielleicht erzählen Sie uns in Ihrer Musik ja schon die ganze Zeit über vom Herrgott im Himmel? Also 2 Gedanken:

  1. In der Musik offenbart sich etwas von Gottes Wesen
  2. Musik stiftet Beziehung zu Gott und bewegt Menschen zu Gott und zu einander.

 

  1. Inwiefern offenbart sich in der Musik etwas von Gottes Wesen?

Liebe Gemeinde, haben Sie schon einmal einen Liebesbrief geschrieben oder jemandem auf andere Weise Ihre Liebe erklärt? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich fand das immer schon schwierig, grundsätzlich auch ein bisschen peinlich und letztlich – völlig unzureichend. „Talking about love is like dancing about architecture“, stellt darum auch ein Charakter aus dem Film “Leben und Lieben in L.A.“  ganz treffend fest. Zu Deutsch: „Über die Liebe zu sprechen ist genauso wie über Architektur zu tanzen.“ Sprich: Dem Gegenstand nicht angemessen und umfassend gerecht werdend. Wo es um das Wesen wahrer Liebe geht, fehlen Worte. Wir können zwar wunderschöne Geschichten über sie erzählen, aber die Liebe selbst, an und für sich, die lässt sich irgendwie nicht angemessen zur Sprache bringen.

Das hat die Liebe mit Gott gemeinsam. Der lässt sich auch grundsätzlich nicht angemessen zur Sprache bringen. Nur ansatzweise, versuchsweise, in aller Brüchigkeit und  Vorläufigkeit und Beschränktheit in Bildern und Geschichten beschreiben, aber dem Wesen nach eben nicht umfassend zu packen. Generell ja überhaupt nicht zu packen, festzulegen, zu definieren mit dem Verstand und der Sprache. „Talking about God is like dancing about architecture“, könnte man vielleicht in Abwandlung des Filmzitats sagen: “Über Gott zu sprechen ist genauso wie über Architektur zu tanzen.”

Warum das so ist, warum sowohl die Liebe als auch Gott mit Worten allein nicht beizukommen ist, legt uns die Bibel im 1. Johannesbrief nahe: „Gott ist Liebe“, lesen wir dort in unvergleichlicher Schlichtheit und Klarheit (1 Joh 4,16). Wenn ich das glauben kann, dass Gott und die Liebe wesensmäßig eins sind, wen sollte es dann noch wundern, dass Musik ihr gemeinsames Medium ist, um sich einem anderen Herzen zu offenbaren?! Wen sollte es noch wundern, dass wohl nichts so häufig Thema in der Musik ist wie die Liebe und andererseits so viel wundervolle völlig zeitlose Musik für Gott über die Jahrtausende hinweg komponiert worden ist. Musik ist die Sprache des Herzens, denke ich. Vielleicht weil Musik „die eigentliche Muttersprache aller Menschen ist“, wie der berühmte Geiger und Dirigent Sir Yehudi Menuhin einmal schrieb: „Denn sie ist die natürlichste und einfachste Weise, in der wir ungeteilt da sind und uns ganz mitteilen können – mit all unseren Erfahrungen, Empfindungen und Hoffnungen(…). Singen macht, wie nichts anderes, die direkte Verständigung der Herzen über alle … Grenzen hinweg möglich. (…).“ In der Musik werde der Mensch selbst zum Klangkörper, zum Musikinstrument in der Sinfonie der Schöpfung, und die Melodie, die er spielt, ist die Liebe, die der große Komponist mit seiner Hilfe zum Klingen bringen will. Resonanzkörper für Gottes Himmelsmusik, das sind wir.

2.Inwiefern stiftet Musik denn nun Beziehung zu Gott?

Musik bringt Gott also zum Ausdruck, so meine These bisher, offenbart ihn, ist ein Medium für ihn, wie auch für die Liebe. Das ist schon mal günstig für eine Beziehung, wenn der eine sich dem anderen mitteilt und tief im Inneren verstanden wird.

Auch wenn wir kaum umhin können uns einzugestehen, dass viele unserer kirchlichen Strukturen in eine Krise geraten sind – die Sehnsucht nach Liebe, nach Sinn und nach Halt die ist in meinen Augen ungebrochen. Diese Sehnsucht ist unser offenes Ohr für Gottes Liebeslied. Und ja, doch, ich glaube, wir hören es noch. Und in manchen Liedern, die wir singen, klingt noch die Ahnung um den Himmel mit an: Das „O du fröhliche, o du selige, o du gnadenbringende Weihnachtszeit“ am Heiligabend im Stehen gesungen. Das enthusiastisch mitgeschmetterte „My lighthouse“ der Konfis – morgen im Vorstellungsgottesdienst wieder zu hören.

Oder das Klammern an Klänge von Liedern wie „Von guten Mächten wunderbar geboren“ in der Trauerhalle, kurz bevor wir hinter dem Sarg hergehen. Da ist Gott ganz spürbar gegenwärtig, ansprechbar, greifbar, nahbar. Und wenn ich mich in diese Lieder hineingebe, dann gebe ich mich auch in seine Hand, dann entsteht Beziehung.

Ich glaube, die Krise unserer Kirche hat viele Gründe, aber einer davon ist die Krise des Singens. Nicht erst seit Corona, das die Musik vielerorten verstummen ließ und den Gesang von den Lippen nahm. Aber seither mit Macht. Der evangelische Gottesdienst, seinem tiefsten Wesen nach Begegnungsfläche von Gott und Mensch, in der so vieles sich auf der Beziehungsebene ereignet – was wäre er ohne Musik? Ohne den Gesang der Gemeinde, nein nicht diesen peinlich berührten, sondern den aus vollem Herzen? Martin Luther, den seine Zeitgenossen wegen seiner schönes Gesangsstimme auch die „Wittenbergische Nachtigall“ zu nennen pflegten, der gerne zur Laute griff und selbst diverse Kirchenlieder dichtete, war der festen Überzeugung: Musik und Gesang sind Herzstücke evangelischen Glaubens und Gottesdienstes. Denn, so seine These:

Lieder prägen stärker als jeder gesprochene Text. Sie gehen uns, schon lange bevor wir alt genug sind, um in der Bibel lesen zu können, unter die Haut, berühren uns tief in der Seele. Und nicht nur die Theologie, nein, auch die Medizin unterstreicht die Bedeutung des Hörsinns, wenn auch in etwas anderer Weise:

Wussten Sie bspw., dass das Ohr im Gegensatz zum Auge niemals schläft? Dass es schon nach 12 Wochen im Mutterleib gebildet wird, als einziges Sinnesorgan ein Leben lang weiterwächst und der letzte Sinn ist, der bei einem sterbenden Menschen noch funktioniert? Vielleicht hört man sie dann ja genauer, die Musik des Himmels? Die Stimme Gottes, mit der er uns anspricht, ein Leben lang und darüber hinaus?  Für Martin Luther jedenfalls steht fest, dass ein Herz zugleich mit der Musik auch Gott in sich aufnimmt. Er schreibt, Christus steige in unvergleichlicher Kraft in die Tiefen des singenden Herzen hinein und aus den Tiefen der singenden Herzen wieder empor, hinaus zu den Menschen.

Kein Wunder also, dass die Reformation ganz wesentlich eine Singbewegung war, eine, die ganze Städte mit ihren Liedern für den evangelischen Glauben zu gewinnen wusste, ein Traum, der mitriß, mit einer Kraft und einem alle zusammenschweißenden Geist, den man heut meist eher mit den Fangesängen im Fußballstadium in Verbindung bringt als mit dem Gemeindegesang in unseren Gotteshäusern. Schade eigentlich, oder?! Gott sei Dank ist jetzt mit Beate Ihrig wieder ein Mensch hier in Michelstadt unter uns, dem es eine Herzenssache ist, Christus nicht nur (um mit Luther zu sprechen) in die Tiefen des singenden Herzens hineinzusenken, sondern ihn auch von dort hinaus zu den Menschen zu tragen. Ich persönlich bin überzeugt, das wird viele wieder neu auf den Geschmack bringen, wenn es um Gottes Liebe, um Jesus Christus und seine frohe Botschaft für unser Leben geht. „Es war wie im Himmel,“ sagte unser Vikar Christian neulich spontan nach Beates so bewegendem, liebevollen Verabschiedungsgottesdienst in Bad König. Ich hoffe, noch viele solche himmlischen Momente mit euch gemeinsam erleben zu dürfen – singend, spielend, hörend.

Das Fazit meiner theologischen Miniatur überlasse ich dem wohl größten Musiker der Bibel – dem Harfisten und Psalmdichter König David: „Ich will dem Herrn singen, dass er so wohl an mir tut“ –jubelt er im 13. Psalm (Ps 13,6). Nein, nicht weil alles perfekt ist. Lesen Sie den 13. Psalm gerne nachher daheim mal in Ruhe durch – Davids Herz war öfter verstimmt als seine Harfe! Probleme waren immer schon da. Bleiben wohl auch da. Aber wenn ein Herz da ist, das bereit ist, Gott Vertrauen zu schenken (so wie es einen Vers vorher zum Ausdruck kommt): Dann hat man die innere Freiheit, sich über äußere Umstände zu erheben, und ihnen die frohe Botschaft von Gottes Liebe ins Gesicht zu singen. Dann ist man wirklich und wahrhaftig „ein freier Herr/eine freie Frau über alle Dinge und niemandem untertan“, weil nämlich nicht unsere Probleme uns beherrschen, sondern einzig und allein der gnädige Gott Herr ist über unser Leben. Wenn Sklaven von einst sich mit der Musik der Prophetin Miriam aus Ägypten freisingen und -tanzen konnten, wenn Sklaven von einst sich mit Gospelmusik in den USA in die Freiheit singen konnten – dann können wir das auch! Ich erkenne nur einen als Herrn über mich und mein Leben an – und dem „will ich singen, dass er so wohl an mir tut“.