Was ist Schönheit?
Wer bestimmt, was schön ist?
Und warum wollen wir alle am liebsten schön sein, Schönes sehen, Schönes erleben und haben es doch genau damit manchmal so schwer?
Ich frage mich:
Liegt Schönheit wirklich immer im Auge des Betrachters oder ist sie eine Eigenschaft dessen, der angeschaut wird? Was, wenn einer mir sagt, dass ich für ihn schön bin, oder klug, oder was auch immer einer denkt, das ich bin? Wenn ich das selbst aber gar nicht sehen kann? Nichts davon im Spiegel, auf den Fotos von mir, im Blick der Augen, die mich ansehen?
Was, wenn ich Schönes überhaupt nicht mehr erkennen kann im Leben oder nichts mehr davon spüren, weil alles grau in grau ist in mir und vor meinen Augen?
Forscher des Max Planck Instituts für empirische Ästhetik sind dabei zu erforschen, was Schönheit eigentlich ist und was Menschen als schön empfinden. Wissenschafler:innen haben herausgefunden, dass Menschen – unabhängig von ihrer Nationalität und ihrem kulturellen Hintergrund – „Gesichter bevorzugen, die symmetrisch sind und besonders männlich bzw weiblich ausgeprägt sind.“
Bei Landschaften wiederum werden allgemein offene Ausblicke, das Vorhandensein von Wasser und Anzeichen für menschliche Nutzung positiv bewertet. Ein Neurobiologe meint: „Schönheit ist vielleicht ein biologisches Programm, das jeder hat… Man muss nicht lange ausgebildet sein, um eine schöne Frau zu erkennen als Mann oder eine schöne Landschaft schön zu finden.“
Wenn das stimmt – dass unser Schönheitsempfinden mehr oder minder angeboren ist, dann finden wir doch mehr oder weniger alle das Gleiche schön. Dann ist es in unserem Genpool veranlagt, Schönes als schön zu erkennen mit den uns gegebenen Sinnen. Dann bist du und dann bin ich entweder objektiv schön oder nicht. Dann ist ein Strand schön oder nicht.
Wie kann dann überhaupt etwas „anderes“ schön je sein? Wie kann „different“ je beautiful sein? Wenn es nicht objektiv den Kriterien genügt, die mein Genpool, die Werbung, die Gesellschaft mir vorgeben? Wie sollte je schön sein, was versehrt ist? Wie das Unscheinbare schön? Das Unförmige? „Different is beautiful“ – dieses Gefühl habe ich oft nicht, wenn ich aus der Norm falle. Das gab man mir nicht in der Schule oder im Schwimmbad, das gibt man mir nicht in der Arztpraxis und das empfinde ich auch selbst oft überhaupt nicht.
Wie sollte es je möglich sein, meine Sinne zu täuschen, mich selbst zu überreden, etwas schön zu finden, das objektiv nicht schön ist? Ich bin überzeugt: Unsere Augen geben das nicht her. Diese Art von Schönheit zu erkennen. Ich glaube auf dem Auge sind wir alle mehr oder minder blind. Da brauchen wir eine Sehhilfe, die uns die Schönheit so sehr vergrößert, dass wir sie wahrnehmen können. Diese Sehhilfe ist für mich der Glaube an Gott und die Liebe, die daraus entspringt
Liebe macht nicht blind. Im Gegenteil. Liebe ist ein Augenöffner. Dank ihr muss ich mich nicht allein auf das verlassen, was ich spontan schön finde, weil das bestimmten biologischen Parametern oder der Norm entspricht. Etwas schön finden hängt davon ab, wie ich etwas anschaue – mit den Augen aber vor allem mit dem Herzen. „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, so steht es im Kleinen Prinzen zu lesen. Und, etwa 3000 Jahre früher, in der Bibel: „Ein Mensch sieht, was vor Augen ist. Gott aber sieht das Herz an.“ (1 Samuel 16,7)
Mit Gott das Herz ansehen. Oh ja, ich bin zutiefst überzeugt, dass Gott die Dinge anders sieht als wir. Und dass ich mit ihm alles neu sehen kann.
Dass meiner Seele, wenn Gott sie einmal berührt hat, die Augen geöffnet werden und sie Schönheit zu erkennen vermag, wo wir vorher blind waren. Es ist die Sichthilfe des Glaubens, geprägt durch Gott, geschärft durch das, was ich in der Bibel lese.
Was nennt die Bibel schön? Beide Testamente preisen die Ehre, den Glanz und die Herrlichkeit Gottes. Und das übersteigt alles, was ein menschliches Auge sehen kann. Im Buch Exodus bittet Mose Gott: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ Gott antwortet: „Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen.“ Manche jüdische Auslegung übersetzt hier: „Ich will meine ganze Schönheit an dir vorüberziehen lassen.“ Und was bekommt Mose schließlich von Gott zu sehen? Im Buch Exodus steht das beschrieben: „Hier ist Raum bei mir. Stell dich auf den Felsen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, setze ich dich in eine Kluft des Felsens und schirme meine Hand über dich, bis ich vorüber bin. Hebe ich dann meine Hand weg, siehst du meinen Rücken, aber mein Antlitz kann niemand sehen.“ (Ex 33,21-23 4)
Man kann Gottes Schönheit nicht sehen. Nicht mit den Augen. Sie sind nicht dafür gemacht. Gottes Schönheit entzieht sich unserem Blick, auch unserem Zugriff.
Aber dort, wo Menschen sich nach Gott und seiner Herrlichkeit sehnen, wo sie Gott die Ehre geben, dort kann sich ein Abglanz dieser Schönheit in ihrem Herzen, in ihrer Seele, offenbaren.
Die Schönheit kommt von der Liebe; die dort wohnt. Sie verleiht allem einen Glanz, den sie berührt. Sie hilft uns Gott in seiner Herrlichkeit zu erkennen, der so anders ist als alles, was wir kennen, und sie hilft uns, den „different is beautiful“ Blick auch auf seine Geschöpfe zu werfen, sogar auf mich selbst. „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst,“ sagt Jesus. Wenn ich so schaue, mit diesem Blick, ja, dann sehe ich ihn, den Himmel auf Erden, dann sehe ich Gottes Reich im Hier und Jetzt, dann sehe ich wahre Schönheit. Denn auf wen die Liebe blickt, liebe-voll blickt, der ist schön. Liebe setzt ihre eigenen Kriterien. Sie braucht keine Symmetrie, keine Merkmale, nur ein Gegenüber, das sie in ihren Glanz hüllt oder vielleicht besser: Dessen mitunter verborgenen Glanz sie mir enthüllt. Dessen Schönheit, für die ich blind war, sie mir offenbart.
Bei Jesus haben die Menschen diesen Blick der Liebe gespürt, durch die Augen seines Herzens haben sie die Schönheit Gottes und ihrer Mitmenschen und auch ihren eigenen erkannt – die Schönheit und Würde der Zöllner und Sünder, der Prostituierten, der Armen und Kranken.
Schönheit die niemand mehr sehen konnte. Schönheit selbst noch in einem Tod am Kreuz, weil da einer aus Liebe starb. All dies ist eine Schönheit, die keine Makellosigkeit braucht, sondern Menschen – und einen neuen Blick. Einen Blick, den mir die Brille des Glaubens ermöglicht – Gott und die Liebe. Wer einmal erlebt hat, wie befreiend und bestärkend es ist, durch Gottes Augen als schön und als liebenswert gesehen zu werden, wer wie die verstoßene Dienerin Hagar in der Wüste mit der Jahreslosung 2023 staunend und dankbar erkennt: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“ – dessen Blick auf die Welt verändert sich. „Different is beautiful“ – ist ein Blickwinkel, den im Grunde nur die Liebe offenbart und der sich aus dem Glauben ergibt – hoffentlich.
Zurück auf Anfang heißt das für mich:
Was ist Schönheit? – Das, was von einem liebenden Herzen betrachtet wird.
Wer bestimmt, was schön ist? – Die Liebe.
Und warum wollen wir alle am liebsten schön sein, Schönes sehen und Schönes erleben? – Weil wir uns nach Liebe sehnen, die uns in unserem Wesen erkennt als das, was wir allesamt sind: Geliebte Geschöpfe Gottes, Abbild seines Glanzes und seiner Herrlichkei