Dankbarkeit in Lukas 17

 

Als ich ein Kind war, da bin ich mit zwei Zauberwörtern aufgewachsen. Das eine, das musste ich z.B. nennen, wenn ich an einem warmen Sommertag meine Eltern fragte: „Darf ich ein Eis haben“. Dann würde sich üblicherweise meine Mutter oder mein Vater mit ernten Blick und hochgezogenen Augenbrauen über mich beugen und fragen: „Wie heißt das Zauberwort?“ Und ich würde erst erhalten, worum ich bat, sobald ich das Zauberwort nannte: ‚Bitte‘.

Es gab aber noch ein zweites Zauberwort. Eins, das von mir im Anschluss an das Gegebene erwartet wurde zu sagen, manchmal direkt danach, manchmal etwas später. Dieses Wort vergas ich manchmal zu sagen, manchmal war ich auch zu faul es noch zu sagen, denn ich hatte ja bereits erhalten, worum ich gebeten hatte. Aber ich wusste immer, dass sich meine Eltern freuten, wenn ich es sagte. Und irgendwie wusste ich auch, dass es richtig war, es zu nennen. Das zweite Zauberwort, das „Danke“, gehörte irgendwie dazu. Es war die zweite Seite einer Medaille. Mit diesen zwei Grundvokablen unserer menschlichen Beziehungen bin ich aufgewachsen: Dem Bitten und dem Danken.

In der Bibelgeschichte des Predigttextes im Lukasevangelium geht es auch um das Bitten und das Danken. Und ich greife schon einmal voraus: Das Danken ist für Lukas mindestens genauso wichtig für uns, wie das Bitten! Nicht nur das, sondern nach Jesus ist nicht nur unser Glaube der errettet, sondern es ist unsere Dankbarkeit, die Rettung schenkt. Dazu gleich mehr. Folgendes wird uns in der Bibelgeschichte von den zehn Aussätzigen berichtet (Lukas 17, 11-19):

Auf seinem Weg nach Jerusalem zog Jesus durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. Kurz vor einem Dorf kamen ihm zehn Aussätzige entgegen; sie blieben in einigem Abstand stehen und riefen laut: »Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!«

Wichtig an dieser Stelle zu wissen: Mit Aussätzigen sind Menschen mit Hautauschlägen, oft Leprakranke gemeint. Das waren meist Ansteckende Krankheiten, weswegen die Aussätzigen streng ausgeschlossen wurden aus der Gemeinschaft der Gesunden. Ein bisschen wie wir es vielleicht in den letzten Jahren erlebt haben. Nur war der Ausschluss heftiger. Nach dem dritten Buch Mose mussten die Aussätzigen in Jüdäa zerissene Kleidung tragen, alleine wohnen und das außerhalb der Siedlungen. Und wenn sie jemanden begegneten, waren sie verpflichtet aus der Ferne laut ‚Unrein, Unrein‘ zu rufen. Dieser Zustand konnte nur aufgehoben werden, wenn ihre Ausschläge geheilt waren; das musste dann ein Priester feststellen und nur dann konnten sie wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden.

Unsere zehn aussätzigen Männer halten sich streng an diese Vorschriften: Sie halten sich außerhalb des Dorfes auf. Sie halten den vorgeschrieben Abstand ein. Und sprechen Jesus aus der Ferne an. Sie allerdings warnen ihn aber nicht vor ihrer Krankheit, sondern sie äußern eine Bitte. Sie sprechen Jesus beim Namen an, nennen ihn sogar Meister. So nennen ihn sonst nur seinen treusten Jünger. Und sie bitten ihn mit den Worten ‚Erbarme dich unser!‘. Ein Bitte, die sich an vielen Stellen in unserer Bibel wiederfindet: Im Alten und Neuen Testament. Sie drückt meist vollkommene Verzweiflung aus und das volle Vertrauen in Gott, dass dieser helfen kann. Jesus reagiert folgendermaßen auf die Bitte:

Jesus sah sie an und sagte zu ihnen: »Geht und zeigt euch den Priestern!« Auf dem Weg dorthin wurden sie gesund.

 

https://stjosemaria.org/podcasts/ipray-were-not-ten-cleansed/

Christus und die Aussätzigen. Gebhard Fugel; um 1910; Tempera auf Leinwand. Diözesanmuseum Freising

Jesus zeigt kein Zögern, er heilt nicht mit der Hand, sondern gibt ihnen nur Befehl, sich den Priestern zu zeigen. Und noch während sie zu den Priestern hingehen, werden sie „rein“.  Es ereignet sich eins der größten Wunder Jesu – zehn Heilungen auf einmal – noch dazu per Fernheilung mit einer absoluten Leichtigkeit. Aber dieses fast unglaubliche Wunder Jesu steht hier in der Bibelgeschichte gar nicht im Vordergrund, sondern das was auf das Wunder folgt. Wir lesen weiter:

 Einer von ihnen kam zurück, als er sah, dass er geheilt war. Er pries Gott mit lauter Stimme,… Jesus aber sagte: »Sind denn nicht alle zehn gesund geworden? Wo sind die anderen neun? Ist es keinem außer diesem Fremden in den Sinn gekommen, zurückzukehren und Gott die Ehre zu geben?«

Jesus ist verärgert, empört. Und ich kann ihn nachvollziehen. Es ist ein gewalteriger Skandal musss man sagen, dass da zehn Aussätzige auf ihre Bitte hin geheilt werden, aber nur Einziger zurückkehrt, um Danke zu sagen. Das ist auch heute noch unverständlich. Wenn es unter uns zehn Menschen gäbe, die an einer unheilbaren Krankheit litten und nächste Woche auf wundersame Weise geheilt werden, dann würden doch die meisten von ihnen, wenn nicht sogar alle, sich doch mindestens einmal, wenn nicht sogar mehrmals bei ihrem Wundertäter bedanken, oder?

Warum diese Neun sich nicht bedanken, darüber wird uns von Lukas leider nichts berichtet. Vielleicht haben sie es nicht begriffen, dass es Gott war, der sie geheilt hat, vielleicht ein glücklicher Zufall, dass sie ausgerechnet dann wieder gesund werden, nachdem sie Jesus danach gefragt haben? Vielleicht haben sie es als selbstverständlich angesehen, als etwas, das doch in Gottes Verantwortung läge, zu heilen, dafür ist er doch da, das ist sein Job, da müsste man doch nicht extra danke sagen, genauso wenig wie man sich bei einem Busfahrer bedanken muss, dass er einen von A nach B bringt, das ist sein Job. Vielleicht waren sie auch einfach zu beschäftigt im Anschluss. Dass sie keine Zeit mehr gefunden haben, Jesus Danke zu sagen. Vielleicht haben sie erstmal voller Freude ihre Familien aufgesucht, sind dann ihren Tagwerk nachgegangen und waren dann wieder so schnell im Alltag, dass sie doch glatt vergessen hatten, wem sie ihre Heilung eigentlich zu verdanken hatten. So oder so, wir wissen es nicht und es schwer zu begreifen, wieso diese neun sich nicht bei Jesus bedanken. Die Neun sind bei ihrer Bitte geblieben und Gott hat Ihnen doch Heilung geschenkt. Aber sie sind auch in der Ferne geblieben. In Abstand von Jesus. Wie es mit dem Neun weitergeht, erfahren wir nicht. Nur von dem Einen wird uns berichtet:

Einer von ihnen kam zurück, als er sah, dass er geheilt war. Er pries Gott mit lauter Stimme, warf sich vor Jesu Füßen nieder und dankte ihm. […] Dann sagte Jesus zu dem Mann: »Steh auf, du kannst gehen! Dein Glaube hat dich gerettet

 

Darstellung von Lk 17,11-19 im Codex aureus Epternacensis, ca. 1035

Da ist einer, der nicht nur bittet, sondern der umkehrt und sich bedankt. Und Jesus verbindet interessanterweise diese Dankbarkeit des Einen mit seinem Glauben und seiner Errettung. Die Dankbarkeit drückt seinen Glauben aus und diese erretet ihn. Jesus sagt also: ‚deine Dankbarkeit hat dich errettet!‘ Was kann an der Dankbarkeit rettend sein? Wenn wir bitten, dann sind noch ganz bei uns selbst. Bei unseren Bedürfnissen, bei unseren Wünschen, bei dem was wir brauchen und uns betrifft. Aber die Dankbarkeit wendet den Blick über uns und unsere Belange hinaus. Sie transzendiert das eigene Ego, die eigene Blase in der wir leben und richtet den Blick auf das, was der Nächste gibt und womit er oder sie diese Welt bereichert. Die Dankbarkeit macht uns empathiefähiger. Wir lernen anzuerkennen und wertzuschätzen, was andere Geben. Und sie bringt uns erst wirklich in Beziehung und in die Nähe der Anderen.

Das geschieht auch in dieser Geschichte. Alle zehn Männer erfahren das Güte Gottes, seine Heilung und körperliche Rettung. Aber es ist nur Einer, der durch seine Dankbarkeit den selbstgewählten Abstand von ihm zu Jesus überwindet. Nur einer, der mit seinem Angesicht bis an die Füße Jesu ran kommt. Und da ereignet sich nach dem ersten Wunder ein zweites, ein viel weitergehendes Wunder: Er hat den Götzen des Egoismus überwunden. Er weiß: Erst mit der Dankbarkeit wird die Distanz zum Nächsten aufgehoben und wir werden frei für ein neues, auf den Nächsten bezogenes Leben. Nach Lukas entlässt Jesus den Einen in die Eigenverantwortung: „Steh auf und geh! Deine Dankbarkeit hat dich gerettet.“

Was ist mit uns? Sind wir wie die Neun, die nur beim Bitten gegenüber unserem Nächsten und Gott bleiben? Oder können wir mehr und mehr lernen, wie der Eine zu werden? Ein Leben in Dankbarkeit einzuüben? Und damit die Selbstbezogenheit und die Distanz zum Nächsten und zu Gott zu überwinden?

Mir fällt es persönlich oft schwer in meinem Leben eine dankbare Grundhaltung einzunehmen. Sooft schreien in mir und um mich herum die Bitten so viel lauter. Ich hab eine geistige Übung gefunden, die mir hilft die Dankbarkeit einzuüben. Sie ist von der evangelischen Theologin Dorothee Sölle. Diese schlägt vor: Am Ende eines Tages soll man versuchen drei Dinge zu finden, für die man Gott danken kann. Wie ein Gebet. Das können große und kleine Dinge sein: Danke Gott für dieses leckere Abendessen. Danke für eine Arbeitstelle, die mir Freude bereitet. Danke für diesen einen Satz, den mir jemand gesagt hat oder diese eine Erkenntnis, die ich heute hatte. Und ich hab die Erfahrung gemacht, dass das etwas verändert. Das weitet den Blick. Das Dankbarsein erfüllt mich, macht mich glücklicher. Das zweite Zauberwort entfacht den Zauber des Lebens. Und dann gilt auch jener Satz, den wir in dieser Bibelstelle von Jesus entdecken können: Die Dankbarsein rettet.

Was für ein Privileg in Jesus Christus einen Herrn zu haben, der noch in seiner dunkelsten Stunde am Kreuz den Psalm 22 anstimmt. Dieser ist nämlich nicht nur ein Klagepsalm, sondern auch Dankpsalm. Er beginnt zwar mit „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber keine Rettung ist in Sicht, ich rufe, aber jede Hilfe ist weit entfernt!“ Psalm 22 geht dann aber auch über in die folgenden dankenden Worte (Vers 23-24):

„Ich will meinen Brüdern verkünden, wie groß du bist, mitten in der Gemeinde will ich dir Loblieder singen. Alle, die ihr vor dem HERRN Ehrfurcht habt, preist ihn! All ihr Nachkommen Jakobs, gebt ihm die Ehre! Begegnet ihm mit Demut und Verehrung, all ihr Nachkommen Israels!“

Amen.