Die evangelische Stadtkirche Michelstadt

„Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“

Matthäus 18, 20

Informationen zur Michelstädter Stadtkirche
Die neben dem historischen Rathaus bedeutendste Stätte Michelstadts ist die Stadtkirche. Der Bau wurde 1461 begonnen und mit dem Kirchturm 1537 beendet.

 

In der Michelstädter Schenkungsurkunde aus dem Jahr 815 wird ausdrücklich eine in der Mitte des Ortes gelegene, hölzerne Kirche erwähnt. Diese stammte vielleicht aus den ersten Jahren der Christianisierung. Einhard ersetzte diese Kirche durch einen Steinbau, der im Jahre 821 geweiht wurde. Aus Fundamentresten konnte man feststellen, dass diese Steinkirche mehrmals erweitert wurde, bevor im 15. Jahrhundert die heutige spätgotische Stadtkirche an ihre Stelle trat.

 

An einem Strebepfeiler des Chores können wir lesen, dass Schenk Adolarius zu Erbach anno Domino 1461 den ersten Stein legte. In altertümlichen Ziffern gotischer Schreibweise (siehe hierzu Abbildung auf dem Plan der Altstadt) erkennen wir am Treppenturm der Westseite die Jahreszahl 1475 und an der Südseite 1507 – jeweils in Verbindung mit einer Inschrift, die über den Fortgang der Bauarbeiten berichtet. An der Westfront ist die Jahreszahl 1490 gleich dreimal eingemeißelt. Die Jahreszahl 1543 finden wir am Schlussstein des Chores, der ein schönes Sterngewölbe besitzt.

 

Im Innern der Kirche sind zahlreiche Grabsteine aus Sandstein und aufwendige Renaissance-Wandgräber aus Alabaster zu beachten. Das stilvollste und künstlerisch wertvollste Grabmal steht rechts am Chorbogen. Es wurde von Hans Eseler von Amorbach geschaffen und ist den Erbauern der Kirche, den Schenken Philipp I. (gest.1461) und Georg I. zu Erbach (gest.1481) gewidmet. Die ehemalige Kapelle an der Nordseite des Chores dient seit 1678 als Familiengruft der Grafen zu Erbach. Früher lag der mit einer Mauer umgebene Friedhof rund um die Kirche. Die letzte Beisetzung fand 1791 statt.

 

Das Glockenspiel auf dem Dach der Stadtkirche verdanken wir dem Gerbermeister Georg Friedrich Braun, der 1830 in Michelstadt geboren wurde und in die Vereinigten Staaten auswanderte. Im Jahre 1912 stiftete er aus ehemaliger Verbundenheit 25.000 Mark zum Bau eines Glockenspiels, das im Jahre 1913 als erstes dreistimmiges Glockenspiel Deutschlands eingeweiht werden konnte. Leider mussten die Glocken im zweiten Weltkrieg abgeliefert werden. Den zahlreichen kleinen und großen Spenden Michelstädter Bürger ist es zu verdanken, dass wieder neue Glocken angeschafft werden konnten. Seit Weihnachten 1958 lassen sie viermal täglich ihre geistlichen und weltlichen Melodien erklingen, und zwar um 7:30, 11:30, 15:30 und um 19:30 Uhr. Das Glockenspiel kann auch außerhalb dieser Zeiten von einem Spieltisch aus bedient werden.

 

Die Erbacher Grafen als Patronatsherren der Kirche hatten bereits 1544 die evangelische Lehre übernommen. Nach dem zweiten Weltkrieg kamen zahlreiche Katholiken als Heimatvertriebene nach Michelstadt. Dies machte den Bau einer neuen Pfarrkirche „St. Sebastian“ 1959 in der d’Orvillestrasse erforderlich.

Informationen zu den Glocken in der Stadtkirche

Kirchenglocken laden seit vielen Jahrhunderten schon ein zum Gebet und zum Gottesdienst, sie verkünden Freude und Leid in der Gemeinde und erinnern mit ihrem Stundengeläut daran, dass die vergehende Zeit von Gott geschenkte Zeit ist. Die Geschichte der Glocke an sich reicht weit zurück – über 5000 Jahre – und führt bis ins Alte China, von wo aus die Kunde über dieses Instrument allmählich westwärts wanderte, über den Mittelmeerraum bis ins heutige Europa. In der spirituellen Praxis der ersten Christen spielten Glocken noch keine Rolle – seine Nutzung wäre für ein Leben im Untergrund auch wenig vorteilhaft gewesen. Es sind koptische Mönchsgemeinschaften, die die Glocke zum Zeichen gemeinsamen Gebets etablieren, offensichtlich zu den in der Antike öffentlich ausgerufenen Stunden.


Die im 15. Jahrhundert errichtete Michelstädter Stadtkirche verfügte seit dem 16. Jahrhundert über 4 Glocken, die im Zeitraum von 1535 bis 1542 gegossen worden sind. Es gab eine Glocke, die immer zum Vaterunser geläutet wurde und eine Totenglocke – beide mit der traditionellen alten Glockeninschrift versehen „Ave Maria. Gracia plena. Dominus tecum“ – „Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnaden, der Herr ist mit dir“. Dazu kam die sogenannte Elfuhrglocke mit der Inschrift: „Ich steh in Gottes Hant und gehör in Grof Eberharts Land im 1535 Jor gosen.“ Zuletzt stiftete Graf Georg zu Erbach noch eine weitere Glocke, die in Heidelberg von Lorenz Lechler gegossen wurde.


Außer diesen vier Glocken ist in den Kirchenrechnungen noch von einem Vaterunser-Glöckchen die Rede, das 1674 gestiftet und über dem südlichen Seitenschiff Richtung Rathaus aufgehängt wurde. 1726 wurde dieses Glöckchen der Kirche zu Bullau geschenkt.


Alle ursprünglichen vier Michelstädter Glocken erlitten bei einem großen Brand im Jahr 1825, der fast das ganze Viertel zwischen der Großen Gasse und der Rathausgasse eingeäschert hatte, so große Schäden infolge der Hitze, dass sie in der Glockengießerei Hamm in Frankenthal umgegossen werden mussten. Am Michaelistag des Jahres 1845 wurden sie zum ersten Mal geläutet und ertönen bis auf den heutigen Tag vierstimmig:

Glocke 1 (es´) Zwölfuhrglocke, Glocke 2 (ges`) Elfuhrglocke, Glocke 3 (b´) Totenglocke, Glocke 4 (es´´) Vaterunser-Glocke.
Wie damals allgemein üblich, mussten die Glocken im Zweiten Weltkrieg gemäß der „Anordnung zur Durchführung des Vierjahresplanes über die Erfassung von Nichteisenmetallen“ vom 15. März 1940 abgegeben und Rüstungszwecken zugeführt werden – Metall war knapp. Alle bis auf die kleinste, die Totenglocke, wurden deshalb aus dem Michelstädter Kirchturm entfernt und abtransportiert. Sie schienen verloren, fanden sich jedoch nach Kriegsende auf dem sogenannten Glockenfriedhof in Hamburg wieder. Die Einschmelzung ist ihnen erspart geblieben.
So kehrten die drei Glocken 1948 wieder in ihre Heimatstadt zurück und wurden in einem Triumphzug durch Michelstadt gefahren.


Bis in die 60er Jahre wurden die Glocke durch einen Handzug in Bewegung versetzt. Einst hatte man im späten 16. Jahrhundert an der Ostseite des Turmes eine Tür und einen Verbindungsgang zur Wendeltreppe des Glockenturms eingebrochen, um dem Glöckner eine rasche Verbindung von seinem Wohnhaus östlich der Kirche zum Turm zu ermöglichen. Bis dahin musste dieser um die Kirche herumlaufen, da der Turm nur durch das Kircheninnere erreichbar war. Noch lange Zeit hingen die zum Läuten der Glocken nötigen Seile bis zur Etage direkt unter den Glocken, nur für die Vaterunser-Glocke reichte das Seil noch weiter hinunter bis in den Vorraum der Sakristei. Die Seile wurden von Jugendlichen gezogen. Viele ältere Michelstädter*innen erinnern sich mit großem Vergnügen daran, dass Kirchendiener Schmall die Jungen und Mädchen eingewiesen und erst, wenn sie diese Aufgabe beherrschten, zum Läuten eingeteilt hat. Die jugendlichen „Glöckner*innen“ wurden in den 60er Jahren durch ein elektrisches Läutewerk ersetzt, seit einigen Jahren läuten.


Abschließend sei an ein Schiller-Wort aus seinem berühmten Gedicht „Die Glocke“ erinnert, das jenseits aller konfessionellen oder weltanschaulichen Grenzen verstanden werden konnte und kann:
„Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Geläute“


Dem Artikel liegen neben verschiedenen Veröffentlichungen zur Geschichte der Michelstädter Stadtkirche u.a. auch ein Artikel aus der Feder von Edina Silber-Bonz zugrunde, der in der 64. Ausgabe von „Unsere Stadtkirchengemeinde“ erschienen ist.

Die Jann-Orgel

Die Michelstädter Stadtkirche blickt auf eine über 400-jährige Orgelgeschichte zurück. Berühmte Orgelbauer wie die Gebrüder Stumm oder die Firma Steinmeyer haben in unserer Stadtkirche bedeutende Orgelwerke aufgestellt. Die technischen und ästhetischen Veränderungen der Epochen haben immer wieder technische und klangliche Veränderungen nach sich gezogen.


So war die ursprünglich barock-klassisch disponierte Orgel der Gebrüder Stumm ein in sich geschlossenes Klangbild. Ebenso war die 1910/11 von der Firma Steinmeyer romantisch disponierte Orgel ein ihrer Zeit adäquates Instrument. Der technische Verfall der Instrumente hatte immer wieder Reparaturen nach sich gezogen, so dass man sich 1969 entschloss, ein Instrument der Firma Bosch zu bauen. Dieses Instrument war einem neobarocken Klangideal verpflichtet, das durch seine geringe Grundtönigkeit und sehr hoch liegende Farben gekennzeichnet war. Die Charakteristik der einzelnen Register war nicht immer plastisch genug. Die technischen Teile der Orgel unterlagen in den letzten 30 Jahren dem Verschleiß, so dass sich die Frage nach Restaurierung bzw. Neubau und Neukonzeption der Orgel stellte. Da die Orgel weder klanglich noch technisch den heutigen Ansprüchen gerecht wurde und eine Reparatur bzw. Restaurierung nur punktuelle Verbesserungen gebracht hätten, entschloss man sich für einen Neubau unter Verwendung noch brauchbarer Pfeifen. Mit diesen Arbeiten wurde die Firma Jann, Laberweinting, 1998 beauftragt.

Bei der Bestandsaufnahme der alten Bosch-Orgel entdeckte man noch sehr wertvolles Pfeifenmaterial aus der romantischen Orgel der Firma Steinmeyer (Prinzipal 8’, Saliconial 8’). Da die Seele des Instrumentes trotz neobarocker Umbauten der 60er Jahre romantisch geblieben ist, entschied man sich, konzeptionell für ein größeres, romantisch disponiertes Orgelwerk. Hierzu bedurfte es einiger entscheidender Erweiterungen, um die Grundtönigkeit und die tiefen, satten Farben einer romantischen Orgel zu bekommen. So wurde ein schlüssiges Konzept erarbeitet und die Orgel von 32 auf 42 Register und ihrer klanglichen Selbständigkeit. Mit dem Neubau erreichte man ein den heutigen technischen Anforderungen genügendes Instrument, das durch seine Klangerweiterungen eine schier unzählige Anzahl an Klangmöglichkeiten bietet. Die Größe der Orgel eröffnet durch die differenzierte Intonation ihrer Werke (Schwellwerk, Hauptwerk, Rückpositiv) vielfältige Möglichkeiten, Orgelwerke aller musikalischen Epochen sehr gut zu interpretieren. Damit hat die Region eine bedeutende Orgel gewonnen, die über die Stadtgrenzen Michelstadts hinaus große Beachtung findet und Organisten, Orgelsachverständige sowie Zuhörer aus Nah und Fern in ihren Bann zieht.


Die Disposition können Sie im nachfolgenden Orgel-Flyer nachlesen.

Wer glaubt, ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.
Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht.

Albert Schweitzer, Theologe und Friedensnobelpreisträger

Die Kirche ist unseres Herrgotts Spital

Martin Luther, Theologe und Reformator der Kirche

Die Kirche ist’s, die heilige, die hohe, die zu dem Himmel uns die Leiter baut

Friedrich Schiller, deutscher Dichter