Ein Blick voraus – ein Kunstgottesdienst auf den Spuren von Friedensreich Hundertwasser

Liebe Gemeinde!

Das Leben zu verstehen ist schwer genug, die Welt zu verstehen nicht minder. Dann haben wir es heute auch noch mit einem zeitgenössischen Künstler und seinem Werk zu tun, dem wir als Laien einen Sinn abgewinnen wollen – Himmel hilf! Moderne Kunst! Am besten, wir machen es uns leicht. Wir beschränken uns vor allem mal auf ein einziges Bild. Es trägt den Titel „Der große Weg.  The big way. Le grand chemin. La strada“.

Hundertwasser hat es im Sommer 1955 in Frankreich mit Öl und Tempera auf Holz gemalt. Das Original hängt heute in der Österreichischen Galerie des Belvedere in Wien. Zu sehen ist eine Spirale – ein typisches Motiv des Künstlers, dem wir auch in vielen anderen seiner Werke begegnen. Nehmen wir uns einen Moment Zeit, den „großen Weg“ miteinander zu betrachten und jeder für sich darüber nachzusinnen, was wir in diesem Bild erkennen, was es mit uns, unserem Leben und vielleicht mit Gott zu tun haben könnte. Und vielleicht mögen Sie bei Ihrer gedanklichen Reise berücksichtigen, dass das Kunstwerk im Original nicht Postkartenformat aufweist, sondern mit stolzen 162 mal 160m menschliche Lebensgröße aufweist – also zumindest wenn man so ein kleinen kleinen Menschen wie mich zum Maßstab nimmt…

Instrumentalstück von der Harfe

Bringen wir Ihre Gedanken und Assoziationen zu Hundertwassers „Großem Weg“ in einen Zusammenklang mit denen des Künstlers selbst. Im „Catalogue Raisonné“ von 2002 beschreibt und erläutert er sein Werk wie folgt:  „Durch die Menschgröße dieser Spirale wirkt sie wie eine Art Menschenfalle. Ich begann genau in der Mitte und trieb jeden Tag die Spirale ein Stück weiter nach außen. Durch die Komplementärfarben rot-blau wird ein starkes Vibrieren erzielt in den Farben. In den Spiralzwischenräumen sind kleine Flächen eingemalt, die sich ergänzend ein Kreuz innerhalb der Spirale bilden. Ich habe auch an das Kreishüpfspiel der Kinder gedacht, das Schneckenhüpfspiel… Man beginnt zu hüpfen und nähert sich immer mehr dem Zentrum, bis man daneben tritt und wieder von vorne anfangen muss. Man geht vor und man muss sich zurückziehen, wie es im Leben auch ist.“ Dann schreibt Hundertwasser: „Man braucht es (dieses Bild) … nicht als Ganzes zu sehen, sondern man kann vom Zentrum aus dem ganzen Weg der Spirale mit den Fingern oder mit den Augen folgen und sich dessen bewusstwerden, wie schmal der Weg oft ist, wie er in den Farben wechselt und welche Hindernisse es alle auf dem Weg gibt. (…) Man kommt u.a. auch auf große Ausbuchtungen, die wie Seen oder Lichtungen anmuten. (…) Auch ist das Bild dazu angetan, im Beschauer eine Art Schwindelgefühl hervorzurufen.“Zusammenfassend bringt Hundertwasser seine persönliche Intention beim Erschaffen des Großen Weges wie folgt auf den Punkt: „Als Ganzes gesehen wird das Bild von einiger Entfernung aus zu einem langen perspektivischen Schlauch von innen gesehen, der in den blauen Himmel mündet.“ Hundertwasser beschreibt also eine Blickrichtung von außen nach innen, auf den Himmel als Zentrum bzw. Endpunkt eines Tunnels hinlaufend – gehalten in Blau, das in der Kunst für das Transzendente, für Gott als den Grund des Seins steht.

Andere Betrachter drehen den Weg gedanklich um und beginnen in der Mitte: „Für Hundertwasser ist die Spirale das Symbol des Lebens, das sich aus einer winzigen Zelle entwickelt, langsam und organisch wächst und schließlich in der Unendlichkeit vergeht. Organisch, wie Wachstumsringe, legt sich eine Windung des großen Weges um die andere, in einer Farbenharmonie, wie sie sonst nur die Natur selbst hervorbringen kann: Farben und Formen als Musik für das Auge.“ Auch das eine äußerst treffende Beschreibung, wie ich finde – obwohl oder gerade weil der Künstler selbst ja ersteinmal eine andere Gedankenrichtung vorschlägt. Aber wenn man Hundertwassers Kunsttheorie und seine Rezeptionsästhetik ernst nimmt, ist genau das das Ziel: Eine neue Art der Wahrnehmung, die den aktiven, verantwortungsbewussten und gestaltenden Betrachter fordert. Und tatsächlich ist es ja nach heutigem Verständnis eines der schönsten Dinge an der Kunst, ebenso wie übrigens auch beim Hören eines Bibeltextes oder einer Predigt: Dass der Betrachter bzw. Hörer selbst kreativ wird, eigene Aspekte und Gedanken dazulegt und Neues erwachsen und entstehen lässt. Im besten Falle werden wir also selbst Künstler im Bereich der Wahrnehmung und Imagination, wenn wir uns mit einem Werk auseinandersetzen. Und tatsächlich ist es vielleicht überhaupt nicht so furchtbar wichtig, ob man ein Kunstwerk korrekt versteht, sondern vielmehr was es in einem auslöst und in ein Leben hineinspricht. So äußert sich zumindest der ehemalige österreichische Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky, in dessen Arbeitszimmer im Bundeskanzleramt Hundertwassers Bild lange Zeit hing: „Was immer ich mir zu dem Bild denke, ist von untergeordneter Bedeutung, gemessen an der Freude, die ich bei seinem Anblick empfinde, an der erholsamen Ruhe, die es mir vermittelt, auch gemessen an dem, was es an Gedanken locker macht. Dieses wundersame Bild ist … das im wahrsten Sinne rekreativste, und wenn es wahr ist, dass ich eine wichtige Aufgabe zu erfüllen habe…, so hilft mir Hundertwassers Malerei dabei: Denn Freude, Ruhe und Imagination sind die Elemente eines schöpferischen Lebens.“

Die Rekreation einer schöpferischen Pause, die Freude – Ruhe –  Imagination: Ich glaube, das können wir alle gerade gut gebrauchen. Gönnen wir uns noch einmal eine persönliche Zeit der Betrachtung mit Hundertwassers Bild. Wenn wir unseren Gedanken eine bestimmte Richtung geben möchten, können wir dabei bspw. folgenden Fragen zu unserem Lebensweg nachgehen: Was habe ich erreicht?  Wo stehe ich heute? Was ist mir in meinem Leben wichtig geworden? Was ist mir unterwegs missglückt?  Ging mein Lebensweg eher geradeaus oder musste ich viele Umwege gehen? Inwiefern haben gerade diese Umwege mein Leben bunt und einmalig gemacht?

Instrumentalstück von der Harfe

Ob es wohl sein eigener bunter, gewundener Lebensweg ist, den Hundertwasser in seinem Bild des „großen Wegs“ spiegelt – oder ist es unser aller Weg? Dieser gewundene Pfad voller Umwege und Hindernisse, dessen Schönheit sich erst beim Blick auf das Gesamte ergibt, was da organisch gewachsen und geworden ist zwischen Anfang und Ende? Manches ungeplant, durch äußere Hindernisse erzwungen in seinem Verlauf, anderes durch eigene Entscheidungen bewusst mitbestimmt und gestaltet, insgesamt jedoch nicht wirklich plan- und absehbar, weil so vielen Veränderungen und Weichenstellungen unterworfen? Gehen wir das mal exemplarisch mit unserem Künstler durch:

Friedensreich Hundertwasser Regentag Dunkelbunt, wie sein voller Künstlername lautet, lebte in jedem Fall ein facettenreiches, ungewöhnliches und kreatives Leben. Im Dezember 1928 wird er in Wien als Friedrich Stowasser geboren. Kurz nach seinem ersten Geburtstag verstirbt sein Vater, ein Ingenieur, und die Mutter muss ihn alleine aufziehen – eine sicherlich entscheidende Weichenstellung. Mit sieben Jahren lässt sie den Sohn trotz oder gerade wegen der jüdischen Wurzeln seiner Familie katholisch taufen – die Mutter erhofft sich davon einen gewissen Schutz in Zeiten der nationalsozialistischen Herrschaft. Tatsächlich überleben diese beiden anders als 70 andere Familienangehörige der Familie Stowasser den Holocaust – aber man kann sich vorstellen, dass diese Erfahrungen Hundertwasser und sein Schaffen nachdrücklich prägen und sich teilweise auch in seinen Bildern niederschlagen. Sein künstlerisches Talent, das ihm in die Wiege gelegt ist, fällt anderen offenbar schon früh auf und prägt natürlich seinen Lebensweg entscheidend. Auf der Montessori-Schule in Wien attestieren ihm seine Kunsterzieher bereits im Grundschulalter einen „außergewöhnlichen Formen- und Farbensinn“ und so erstaunt dann auch seine spätere Studienwahl nicht besonders: Nach seiner Matura im Jahr 1948 schreibt Hundertwasser sich an der Wiener Akademie der bildenden Künste ein. Nach wenigen Monaten jedoch trifft er die Entscheidung, sein Studium abzubrechen und geht stattdessen auf die Reise – nach Italien, Frankreich, Marokko und Tunesien. Viele neue Eindrücke prasseln auf ihn ein, er lernt diverse Sprachen, darunter auch Japanisch, Russisch, Arabisch und Tschechisch und begegnet Künstlern wie Egon Schiele oder Paul Klee, die ihn inspirieren. Hundertwasser trägt einen kleinen Malkasten immer bei sich und malt mit großem Erfolg. Er organisiert Ausstellungen in Japan ebenso wie in Kalifornien oder auf der Dokumenta in Kassel, dreht einen Dokumentarfilm über sein Leben und den Umbau eines alten  Salzfrachters,  den er „Regentag“ tauft und wird beruflich immer bekannter.

Die Natur gerät ihm immer mehr zur Inspirations-  und Schaffensquelle. Hundertwasser erwirbt mehrere ungewöhnliche Grundstücke, darunter ein ganzes Tal in der neuseeländischen „Bay of Islands“, das er der Natur zurückgibt und renaturiert. Hundertwasser pflanzt dort mehr als 100.000 einheimische Bäume, baut Kanäle und Teiche und nutzt bewusst Sonnen- und Wasserenergie sowie eine wassersparende Humustoilette. Der progressive Umweltaktivist der ganz frühen Stunde nimmt schon in den 60er und 70er Jahren manches von dem voraus, woran wir uns heute immer noch umweltpolitisch abarbeiten: Er setzt sich für den Naturschutz ein, protestiert gegen die Kernenergie und. für erneuerbare Energien, setzt sich aktiv für die Rettung der Wale und den  Schutz der Regenwälder ein. Seine ebenso visionären wie mitunter verstörenden Ein- und Ansichten in dieser Hinsicht spiegeln sich nicht nur in. seinem Leben sondern natürlich auch in seiner Kunst – nicht zuletzt in seinem umfangreichen architektonischen Schaffen. Das organische Wachsen und Werden wird zum herausragenden Motiv seines Wirkens. So pflanzt  Hundertwasser bspw. seit Mitte der 70er Jahre konsequent sogenannte „Baummieter“ in seine Häuser, die den Lebensraum mit den Menschen teilen sollen – eine Philosophie, die über eine bloß optisch als attraktiv angesehene Fassadenbegrünung weit hinausgeht.

Als er im Februar 2000 verstirbt, wird er auf seinen Wunsch hin auf seinem Grundstück in Neuseeland, ohne Sarg und nackt, eingehüllt in eine von ihm entworfene Koruflagge beerdigt. Auf sein Grab wird ein Tulpenbaum gepflanzt – ein letztes Zeichen der für ihn unauflöslichen Einheit von Mensch und Baum.

Dies alles berücksichtigend, könnte man Hundertwassers Biographie tatsächlich als ein gutes Beispiel dafür ansehen, dass „der große Weg“ des Lebens keine vorgegebene, absehbare Straße, die gut ausgebaut immer geradeaus führt. Sondern Lebenswege entstehen – so abgedroschen es auch klingen mag – erst beim Gehen. Wir werden vorher wohl nie wissen, wohin uns der Weg führt, er erwächst aus äußeren Einflüssen wie eigenem Antrieb heraus – wie ein Baum wächst in wachsenden Ringen, geprägt durch Dürrejahre und Zeiten des Überflusses, so gerade oder schief, wie es die Umgebung nahelegt.

Wenn wir uns nun mal fragen, was dieser unorthodoxe Zeitgenosse, sein Lebensweg und sein künstlerisches Werk theologisch für uns austragen, denke ich persönlich Folgendes: Es ist dieses organische Wachstum, das Schöpferische, wo Hundertwassers Kunst an das Göttliche rührt. War es bei Van Gogh vor allem sein diakonischer Impuls und bei Dürer seine Schnittmengen mit der Reformation, die uns in den letzten Wochen in Bezug auf Künstler und ihren Blick auf Gott beschäftigt haben, so ist das genuin Christliche bei Hundertwasser nicht derart explizit zu haben – auch wenn  er ja 1995 bekanntlich eine besondere „Hundertwasser-Bibel“ herausgab mit 30 extra für das Buch der Bücher angefertigten Collagen und vielen weiteren Kunstwerken. Er beschäftigte sich mit Religion und den Religionen, mit dem Göttlichen, aber das ihn der christliche Glaube mehr interessiert hätte als ein anderer, konnte ich bei meiner Lektüre bis dato nicht feststellen. Aber Gott – das ist ihm eine feste Größe, und vielleicht ist er eben dadurch vielen Zeitgenossen sehr nahe, die sich auch nicht gerne in ein bestimmtes religiöses Dogmensystem einordnen lassen – aber sehr wohl an etwas Höheres als uns selbst glauben und Spuren dessen gerade in der Natur entdecken. Nicht wenige Menschen gehen lieber in den Wald zum Beten als in die Kirche – da passt Hundertwasser mit seinen „Seelenbäumen“ und „Baumfreunden“ gut ins Bild. Die Natur ist ihm ein Spiegel des Göttlichen –  und in dieser Hinsicht gibt es überraschend viele und deutliche religiöse Bezüge in seinem Schaffen. Eine seiner berühmtesten Äußerungen über das Wesen seiner Werke lautet nicht von ungefähr: „Die gerade Linie ist gottlos und unmoralisch. Die gerade Linie ist keine schöpferische, sondern eine reproduktive Linie. In ihr wohnt weniger Gott und menschlicher Geist als vielmehr die bequemheitslüsterne, gehirnlose Massenameise.“  Ich verstehe Hundertwassers Kunst, ebenso wie sein großes Engagement in Sachen Architektur, Umweltschutz und Politik so, dass er das göttlich-schöpferische Potential der Menschen freisetzen und damit dazu beitragen wollte, dass der Mensch im Einklang mit sich und der Natur lebt. Dieser Ansatz lässt sich in jedem Fall mit christlich-jüdischem Gedankengut produktiv ins Gespräch bringen, in dem der Mensch ja als Ebenbild Gottes, des Schöpfers, gedacht und zur Bewahrung der Schöpfung in Genesis 2 explizit aufgerufen ist. Hundertwasser nutzt bewusst religiöse Begrifflichkeiten aus diesem Sprachfeld, um seine Kunst zur Sprache zu bringen und zu erklären. So sagt er bspw., erneut die gerade Linie und das Gleiche und Glatte kritisierend: „Auf dem Glatten rutscht alles aus.  Auch der liebe Gott fällt hin. Denn die gerade Linie ist gottlos. Die gerade Linie ist die einzige unschöpferische Linie. Die einzige Linie, die dem Menschen als Ebenbild Gottes nicht entspricht. Die gerade Linie ist ein wahres Werkzeug des Teufels. Wer sich ihrer bedient, hilft mit am Untergang der Menschheit.“ Was mag das für ihr persönliches Leben und die Welt, in der wir leben, wohl heißen?

Instrumentalstück von der Harfe

Wer einmal vor einem Hundertwasser-Haus gestanden hat, findet dort architektonisch umgesetzt viele Motive des „großen Weges“ wieder: Es gibt keine klaren, geraden Linien, sondern viele unebenmässige, lebendige Rundungen und Schwingungen, keinen grauen Beton, sondern viel Buntes und Kreatives, viel individuell Gewachsenes und Gewordenes. Hundertwasser liebte die Vorstellung, dass Bewohner eines Gebäudes schöpferisch ihren Lebensraum fortlaufend mit ausgestalten und nicht nur den einmal vorgegebenen Architektenentwurf beim Einzug hinnehmen – und mit diesen Bewohnern sind bei ihm eben nicht nur Menschen, sondern e auch die bereits erwähnten „Baummieter“ und andere Pflanzen gemeint, er geht sogar so weit in seinem „Verschimmelungsmanifest“ den Schimmel an den Wänden als ein  Stück lebendiger Natur im gemeinsamen Lebensraum gut zu heißen. Er macht radikal ernst mit. seinem Ideal: Gemeinsam sollen Gottes Geschöpfe wie im Garten Eden friedlich koexistieren und im wahrsten Sinne des Wortes „Leben in die Bude bringen“ – haben Sie das mal vor Augen, wenn Sie ein Hundertwasserhaus betrachten. Für den österreichischen Künstler hatte alles, was lebt, eine Seele – die „beseelte Natur“, deren organischer Teil wir Menschen sind, ist ihm der Präsenzort göttlichen Geistes in dieser Welt. Ihm versuchte Hundertwasser mit seinen reichlich unorthodoxen Ideen auf seine Weise Raum zu schaffen. Wenn er „vegetative Malerei“ betreibt, wie er es bezeichnet, und eine „natur- und menschengerechtere Architektur“ entwickeln will, ist das letztlich nur schöpfungstheologisch wirklich zu verstehen.

Am Ende dieser Predigt, die auf ihre Weise ja gewissermaßen auch spiralförmig aufgebaut ist, möchte ich unsere Gedanken noch einmal auf die Spirale des großen Weges zurückführen, den Hundertwasser selbst als „religiös verankert“ charakterisiert: „Ich bin … davon überzeugt, dass der Schöpfungsakt sich in Spiralform vollzogen hat. Es heißt doch in der Bibel, zuerst war nur lebloses … und dann kam das Leben. Ich glaube, der Akt des Lebeneinhauchens in eine tote Materie vollzieht sich in Spiralform. Wenn man die niedrigen und höheren Lebewesen betrachtet, wird man immer wieder auf die Spiralform stossen. Die fernen Sterne bilden sich in Spiralformationen, auch die Moleküle. Unser ganzes Leben geht in Spiralen vor sich. (…) Die Spirale bedeutet Leben und Tod nach allen Richtungen. Nach außen läuft sie in die Geburt, ins Leben und anschließend durch ein sich scheinbar Auflösen ins zu Große, in außerirdische, nicht mehr messbare Bereiche. Nach innen kondensiert sie sich durch Konzentration zum Leben und wird anschließend in unendlich kleinen Regionen wieder etwas, was wir als Tod bezeichnen, weil es sich unserer messenden Wahrnehmung entzieht.“

Ich glaube zu ahnen, dass sich hinter dieser Äußerung über Leben und Tod, Anfang und  Ende und die gewissermaßen ewige und unendliche Natur der Spirale, nicht nur ein allgemein religiös konnotiertes, sondern vielleicht am ehesten ein aus dem christlichen Glauben heraus zu verstehendes Motiv in Hundertwassers Werk findet – nämlich die Vorstellung, dass unser Leben nicht linear auf den Tod hinläuft und damit endet, oder aber sich in einem geschlossenen Kreis aus Wiedergeburten fortsetzt. Sondern dass das Leben einmalig ist, facettenreich, bunt, wunderschön, kurvig, unvorhersehbar, dass es beginnt und endet und in etwas Unendliches, Ewiges übergeht, das auch Leben ist, sich aber unseren Maßstäben entzieht. Nennen wir es einfach mal mutig „ewiges Leben“ und haben wir es vor Augen, wenn wir in zwei Wochen am Ewigkeitssonntag unserer Verstorbenen gedenken – und uns vielleicht mit unserer eigenen Endlichkeit auseinandersetzen. Noch einmal Hundertwasser: „Meine Spirale wächst und stirbt vegetativ, das heißt, die Spiralbahnen verlaufen ähnlich wie die Mäander der Flüsse nach dem Gesetz des Wachstums der Pflanzen. Ich tue dem Ablauf keinen Zwang an, sondern lasse mich führen.“  Der Fluss aber führt ins Meer. Der Weg führt zum Ziel. Als Christin würde ich sagen: Christus führt als der Weg zu Gott, wie ein Flussbett das Wasser ins Meer lenkt. Ist Weg, Wahrheit und Leben. Aber das ist natürlich nur meine persönliche Schöpfungsleistung als Betrachterin.  Betrachten Sie es wie Sie wollen. Ich glaube,  das wäre diesem Künstler recht gewesen –